Augenweide

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Interview des vm2000.net mit Jörg Boström

Über Michelangelo liest Du gerade ein Buch, in dem man auch etwas über die Zeit erfährt, in der er lebte?

Ja, und zwar ist das sehr genau historisch beschrieben. So dass man auch über die Zeit und die Kultur und die politischen Verhältnisse Einiges erfährt. Und das Buch selber ist ja auch interessant, zumal mich auch der Künstler sehr interessiert, mit seiner Vielseitigkeit, er war Maler und Bildhauer.

Hmhm. Geht es da auch um die Werke, werden die auch beschrieben?

Ja, die werden auch beschrieben. Nicht nur die Werke, sondern auch, wie sie entstehen. Das ist ja das Interessante. Wie er die Steine kauft, große Brocken, um daraus dann Skulpturen zu meißeln. Er ahnt, wenn er den Urstein sieht, wie daraus Figuren entstehen können. Und dann kauft er die passenden Brocken, Steine. Also er sieht in Gedanken schon seine Skulpturen, in diesen Steinen.

Das kann man sich vorstellen, ja, dass es sowas gibt bei Bildhauern.

Ja, das ist seine Art. Ich kann mir das nicht vorstellen, aber ich kann mir das vorstellen, dass ich es mir vorstellen könnte, wenn ich Bildhauer wäre. Es ist ja für ihn auch immer ein finanzieller Aufwand, einen solchen Brocken zu kaufen, und er muss sich schon sehr gut vorstellen, wie eine Skulptur von ihm daraus entstehen kann.

Wenn eine Skulptur misslingt, dann hat man da einen großen Brocken, und weiß nicht, wohin damit.

Ja, ja. Also er muss im Kopf bereits Formen und Figuren haben, wenn er die Steine dazu kauft. Das ist ja auch ein finanzieller Aufwand.

Dafür hatte er Auftraggeber, nehme ich an?

Jaja. Aber der Auftraggeber hat nicht die Phantasie, die muss schon der Künstler haben.

 

Betrunkener Bacchus von Michelangelo, Quelle: Wikimedia Commons

Wird da auch beschrieben, wie er Fresken malt, z.B. in Kirchen?

Im Moment ist er nicht dabei, da ist er hauptsächlich bei Skulpturen. Aber im Prinzip kommt natürlich auch die Kirchenmalerei in dem Buch vor. Es ist ein sehr dickes und sehr gutes biografisches Buch.

Wie heißt denn der Autor?

Irving Stone ist der Autor. Es ist ein dickes Buch, ich bin schon bei Seite 404. Da habe ich noch Tage mit zu tun.

Stimmt, Du liest ja gerne dicke Bücher.

Ja, wenn sie gut sind.

Hier steht im Internet darüber: “Rivalitäten mit berühmten Zeitgenossen wie Leonardo da Vinci und Raffael machten ihm das Leben ebenso schwer wie seine eigene dämonische Natur.”

Aber Konflikte gab es da nicht so viel, jedenfalls nicht in dem Buch. Und die anderen Künstler kommen nicht so reichlich vor. Er hat zuviel zu tun, der Autor, über Michelangelo zu schreiben. Der Name wird manchmal erwähnt, aber nicht ausführlicher dargestellt.

Und das mit der dämonischen Natur, damit ist wohl gemeint, dass sein Charakter teilweise irgendwie etwas ungezähmt war?

Ja, das Buch hat einen Untertitel, Inferno und Extase.

Oho.

Oho, ja, ein wilder Unterschied, Inferno und Extase.

Ja, allerdings beides nicht ganz harmlos.

Nein, Michelangelo war nicht harmlos.

Abgesehen von der Kunst wird auch noch das Leben in der damaligen Zeit beschrieben?

Ja, auch der anderen Menschen, die da teilweise vorkamen. Und eben die großen Künstler hatten auch immer Kontakt mit der Kirche und speziell mit dem Papst. Das war so eine richtige religiöse Sippe.

Ah ja, das ist auch interessant, wenn man da Einiges drüber erfährt. Allerdings sollte das normalerweise nicht allzu viel mit Inferno und Extase zu tun haben, obwohl, wer weiß. Ich meine, das Leben im Vatikan sollte normalerweise nicht unbedingt in die Kategorie Inferno und Extase fallen.

Na ja. Bei mir nicht unbedingt. Bei mir ist es mehr Landschaft, Gegend, Leben, Umwelt.

Stimmt, wir wollten ja auch zur Landschaft zurückkehren.

Du könntest noch mehr Bilder, meine ich, darzustellen. Und dass die Landschaften bei mir mit meinem Leben zu tun haben. Mecklenburger Landschaften, weil ich da auch wohnte. Die sind fotografiert, und dann skizziert, und dann gemalt.
Stell die Bilder dann daneben, dass man sie sehen kann, während darüber gesprochen wird.

Ja, das könnte ich weitgehend versuchen. Und wie ist es mit dem Text zu Paul Klee, der auch eine Art Landschaft beschreibt, konntest Du damit irgendetwas anfangen? Da hätte ich auch wieder sowas wie Fragen, allerdings weiss ich nicht, ob Du damit etwas anfangen kannst.

Ja, stell sie doch mal.

Paul Klee schreibt in dem Text “Künstlerische Konfession” folgendes: Entwickeln wir, machen wir unter Anlegung eines topographischen Planes eine kleine Reise ins Land der besseren Erkenntnis. Über den toten Punkt hinweggesetzt sei die erste bewegliche Tat (Linie). Nach kurzer Zeit Halt, Atem zu holen. (Unterbrochene oder bei mehrmaligem Halt gegliederte Linie.) Rückblick, wie weit wir schon sind. (Gegenbewegung). Im Geiste den Weg dahin und dorthin erwägen (Linienbündel). Ein Fluß will hindern, wir bedienen uns eines Bootes (Wellenbewegung). Weiter oben wäre eine Brücke gewesen (Bogenreihe).” Soweit der Text von Paul Klee. Mir scheint, dass er hier eine Landschaft beschreibt.

Ja, aber ist mir etwas fremd.

Also, Du kannst das auch als eine Art Landschaft einordnen, aber es ist Dir fremd.

Jaja. Nee, das ist mir etwas fremd, was Du da ausgesucht hast. Landschaft hat für mich etwas Reales, wo man mit den Füßen drin herumlaufen kann, mit den Augen drin herumgucken kann, und dann mit dem Stift und mit dem Pinsel drin herummalen kann. Also der Dialog zwischen Landschaft und Künstler ist real, nicht so sehr aus der Phantasie und aus Träumen.

 

Werke von Paul Klee, Quelle: Wikimedia Commons

 

Stimmt, hier geht es um Linien, also um stark abstrahierte Formen. Allerdings um das Auge, und das Herumschauen in der Landschaft geht es bei ihm auch, nämlich in einem späteren Abschnitt, da schreibt er, im 4. Abschnitt: “Dem gleich einem weidenden Tier abtastenden Auge des Beschauers sind im Kunstwerk Wege eingerichtet.” Das klingt für mich, als wäre der Zugang zum Kunstwerk eine Karte, auf der Tierpfade eingezeichnet sind.

Jaja, aber wie gesagt, für mich ist Landschaft real, und begehbar, und mit den Augen sehbar, aber nicht solche konstruierten Dinge, wie er da schreibt.

Vielleicht ist es auch nicht ungedingt das, was er sagen wollte, dass das Kunstwerk wie eine Karte von Tierpfaden sein sollte, weil europäische Kunstwerke meist andere Themen haben als Tierpfade. Aber in der Kunst der australischen Ureinwohner, fiel mir dann ein, wäre es durchaus möglich dass eine Karte von Tierpfaden angelegt würde, manchmal sind die australischen Kunstwerke eine Art Plan von Plätzen oder z.B. Wasserlöchern oder mythologischen Orten.

Ja, wie gesagt, ich habe mich damit nicht sehr beschäftigt, mit den australischen Kunstwerken.
Paul Klee hat eine sehr reale und gleichzeitig abstrakte Form, seine Kunst zu schaffen. Die immer eng mit seinem Leben zu tun hat, und aber gleichzeitig aus seiner Phantasie strömt.

Bilder der australischen Ureinwohner, die Wege und Orte darstellen, sind oft Luftbilder.

Nur dass sie damals ja keine Flugzeuge hatten.

Du hast auch schonmal Luftbilder gemalt, sowohl von der Stadt Herford früher und heute, als auch vom Donaudelta. Du hast dabei aber nicht an die australische Kunst gedacht?

Nee, garnicht. Das war immer meine Sicht, ich habe mich nicht an anderen Künstlern orientiert. Ich war ja mit einem Flugzeug unterwegs gewesen, mit einem Freund der einen Flieger hatte, dann sind wir geflogen, und ich habe Fotos gemacht, Luftfotos.

Und die von Paul Klee beschriebenen Wege für die ähnlich weidenden Tieren abtastenden Augen, an die hast Du sicher dann auch nicht gedacht?

Nee. Ich denke nicht so viel an andere Leute, ich habe genug zu tun, mit dem was ich denke, das ist mir schon mehr als ich schaffe.

Hmhm. O.k. das verstehe ich schon, dass man sich nicht so sehr an anderen orientiert, weil das sicher auch verwirrend wäre, weil es so viele unterschiedliche Kunstformen gibt.

Ja, man hat schon mit der eigenen Kunst mehr zu tun als man schafft.

Trotzdem könnte man vielleicht behaupten, dass die ähnlich weidenden Tieren abtastenden Augen auch einen Zugang zu Deinen Kunstwerken bekommen, so dass man Deine Kunstwerke auch als Augenweide bezeichnen dürfte?

Hm, ja, könnte man.

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