Erinnerungen im inneren Archiv

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Interview des vm2000.net mit Jörg Boström

Der Mensch ordnet seine Erfahrungen zu einem inneren Archiv. Dies besteht großenteils aus Bildern, ausserdem aus Gerüchen, Geräuschen, Sprache, und Text, vielleicht. Die Wahrnehmung und Sortierung dieser Bilder ist auch von früheren Erfahrungen beinflusst, würdest Du dem zustimmen?

Nur teilweise. Ich denke, Gerüche, Geräusche habe ich nicht so in Erinnerung. Sprache und Text ja.

Und Du hast sicher auch Bilder in Erinnerung?

Ja, Bilder eher als Texte. Ich habe für Texte nicht so eine gute Erinnerung, wie für Bilder.

D. h. Dein Gedächtnis besteht hauptsächlich aus Bildern oder auch filmartigen Sequenzen?

Und Ereignissen, Treffen mit Menschen.

Die werden dann wahrscheinlich auch als Archiv von sowas wie Bildern und Filmen gespeichert?

Ja. Und an Kindheitserinnerungen, die Du ansprichst, da sind mehr Szenen, Abenteuer in Erinnerung. Wie wir Kartoffeln geklaut haben, oder Äpfel. Oder wie wir uns auf dem Bauch durch die Wiesen geschlichen haben, oder durch Gräben, versteckt haben. Wir haben so ein bisschen Krieg gespielt, ich war ja Kriegskind. Da war sozusagen der Krieg unser Hauptspielplatz. Phantasiekrieg als Kind. Wo wir uns gewissermaßen in den Schützengraben gelegt haben, und dann so getan haben, als ob wir schießen, und sowas. Wir haben Krieg gespielt.

Das kannst Du noch quasi als Bilder oder Filme abrufen?

Ja, ich habe es mehr in Szenen in Erinnerung, nicht so sehr in Bildern. Was wir so gemacht haben, als Szene, das habe ich in Erinnerung. Wie wir auf Trümmern geklettert sind, oder in kaputten Häusern, oder wie wir eben, was ich schon sagte, über den Acker gekrochen sind. Das war so unser Spielplatz, die ganze Welt um uns herum.

Ich habe mich gefragt, ob sich das auch auswirkt auf die heutige Wahrnehmung von Bildern, was man damals so erlebt hat.

Das kann wohl sein, das glaube ich auch, ja.

Die Einsortierung dieser Bilder in eine Art inneres Archiv.

Das kann auch sein, das kann ich aber nicht beurteilen.

Dadurch könnte es sein, dass sich bekannte Muster leichter in das Gedächtnis einprägen? Das wäre eine Erklärung dafür, dass bekannte Bilder, wie Kindheitserinnerungen, auch die heutige, aktuelle Wahrnehmung von Bildern prägen.

Ja, das sehe ich auch so. Ich habe ja beim Fotografieren auch einiges an Trümmern fotografiert, in Erinnerung an meine Kindheit, Trümmerbilder habe ich auch gemacht. Ich habe ja in der Gegenwart kaum Trümmer um mich herum, das sind mehr Erinnerungsbilder. Und wenn ich die im Internet finde, gucke ich sie mir auch mal gerne an.

Kann sein, dass sich jemand, der andere Erinnerungen hat, dann auch andere Bilder anschaut.

Mit Sicherheit ist das so. Jeder guckt wohl Bilder in Anknüpfung an seine Erinnerung.

Das denke ich auch. Durch Fotografieren werden Augenblicke als Erinnerung bewahrt. Gleichzeitig soll es das Phänomen “fotografische Erinnerungsbeeinträchtigung” geben. Damit ist gemeint, dass es auch die Erinnerung schwächen kann, wenn man sich darauf verlässt, dass die Technik den Moment speichert. Hast Du Ähnliches schon beim Fotografieren bemerkt?

Das habe ich jetzt nicht verstanden, was Du meinst.

Ah ja, also es soll ein Phänomen geben, das von Wissenschaftlern “fotografische Erinnerungsbeeinträchtigung” genannt wurde, und damit ist gemeint, dass, wenn man ein Foto macht, gleichzeitig die Aufmerksamkeit nachlässt, oder bzw. auch die Erinnerungsfähigkeit nachlässt.

Das halte ich für falsch. Ich denke, was ich fotografiere, ist für mich enger in der Erinnerung gebunden als anderes, was ich nicht fotografiert habe. Die Kamera arbeitet so teilweise auch an meinem Gedächtnis, und liefert mir Bilder für mein Gedächtnis. Szenen, die ich ohne Fotografieren erlebt habe, vergesse ich schneller, als Bilder, Szenen, die ich fotografiert habe, ist doch klar.

Weil man sie sich anhand der Fotos in Erinnerung rufen kann?

Ja, und weil man sie auch beim Fotografieren sich bewusst macht. Wenn man nicht fotografiert, rutschen die einfach so durch, und da bleibt nicht viel.

Es besteht aber auch die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit von den Ereignissen abgelenkt ist, wenn man stattdessen auf die Technik, die Belichtungszeit usw. achtet.

Nein nein, das ist Quatsch. Die Kamera ist heute so automatisch, da braucht man sich nicht auf Technik konzentrieren. Man drückt einfach, und dann entstehen die Bilder.

Das würde ich mir auch wünschen, dass es so wäre.

Das ist so. Nimm doch mal so ein iPad und knipse damit, da brauchst Du nur drücken. Da brauchst Du nichts einstellen.

Also mir ist schon das Phänomen aufgefallen, nicht direkt, dass es die Erinnerung beeinträchtigt, sondern dass es die Aufmerksamkeit in dem Augenblick beeinträchtigt, und dass ich dann quasi geteilt bin, von der Aufmerksamkeit her.

Nur, wenn Du nicht fotografieren kannst. Wenn Du Dich konzentrieren musst auf die Fototechnik, dann ist natürlich das Ereignis etwas verschwunden, aber bei mir geht das vollautomatisch, ich drücke einfach. Da muss ich mich nicht auf die Kamera konzentrieren. Besonders mit dem iPad geht das vollautomatisch, nur drücken.

Ich hatte mir schonmal vorgestellt, wenn man eine relativ gute Helmkamera tragen könnte, und die dann mit einem Fernauslöser betätigt, den man z.B. in der Tasche hat, dass man dann tatsächlich Fotos machen könnte, ohne mit einem Gerät zu hantieren, dass man sich erst noch vors Gesicht hält, und dadurch dann schonmal die Blickrichtung eventuell ändert, und solche Sachen.

Nee, sowas kenne ich nicht, mache ich nicht.

Ein anderes von Wissenschaftlern beobachtetes Phänomen in Zusammenhang mit Bildern und Erinnerung sollen Blitzlichterinnerungen sein, “flash bulb memories”. Das sollen besonders hervorgehobene Erinnerungen an dramatische Momente sein, die sich fotografisch genau wie ein Blitzlichtbild dem Gedächtnis eingeprägt haben. Kennst Du solche Blitzlichterinnerungen?

Nein, das sagt mir im Augenblick garnichts. Nee, so Blitzlichterinnerungen habe ich keine, glaube ich nicht.

Damit wären Bilder gemeint, die in besonders hervorgehobenen Momenten entstehen, auch in besonders gefährlichen Momenten, wie z.B. kurz vor Autounfällen.

Nee, bei Autounfällen habe ich bisher nicht fotografiert. Solche ereignis-dramatischen Fotos kenne ich eigentlich nicht. Wenn ich in Gefahr gerate, dann greife ich bestimmt nicht zur Kamera.

Mit diesem Begriff Blitzlichterinnerungen ist gemeint dass das Gedächtnis besonders viele Einzelheiten speichert, scharf, und beleuchtet, so wie mit Blitzlicht.

Nee nee, ist nicht so.

Könnte man Erinnerung in Zusammenhang mit Kunst auch als kreativen Prozess betrachten? So dass z.B. Collagen aus bildhaften Erinnerungen gebildet werden, die zu neuen Bildern führen können?

Das würde ich auch so sehen. Dass Erinnerungen im Kopf sich zu Collagen verdichten, und daraus könnten, wenn man dabei ist, Collagen zu machen, könnte man da auch neue Bilder entwickeln, aus den Erinnerungsbildern. Das kann man sehr schön am Rechner machen.

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