Interview Teil 16 – die rechteckige Fläche

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Interview des vm2000.net mit Jörg Boström

Beuys schrieb 1985 und nannte diesen Satz Manifest: “Der Fehler fängt schon an, wenn einer sich anschickt, Keilrahmen und Leinwand zu kaufen”. Waren solche Ideen typisch für die damalige Zeit, eventuell auch schon seit den 60er Jahren?

Es hatte sich so entwickelt, dass die Malerei mit Keilrahmen und Pinsel und Farbe in Verruf geriet, weil die Aktionskunst im Vordergrund stand. Und Beuys war ja ein Papst der Aktionskunst, der hat Aktionskünste ja richtig organisiert, selber gemacht, und auch mit Studenten organisiert. Und dadurch wurde in seiner Sicht, und der Sicht der Leute um ihn herum der Keilrahmen und der Pinsel altmodisch, und war als wäre das vorbei gewesen. Das war natürlich ein Quatsch. Sondern Beuys hat seine Aktionen ja gemacht, aber heute ist im Grunde die Malerei wieder sehr sehr wichtig.

Das stimmt natürlich. Gerade auch für Sammler ist es ja schwierig, Fluxus-Performances zu sammeln.

Genau. Und der im Augenblick am besten bezahlte und berühmteste ist ja Gerhard Richter, der mit Keilrahmen und Leinwand arbeitet, ganz intensiv.

Minimal Art, Pop Art, Fluxus, entwickelten teilweise andere Formen der Kunstpräsentation. Das alles in den 60er Jahren. Da wollten die Künstler vieles über Bord werfen, manche auch Pinsel und Keilrahmen, Du bist aber doch gerne bei der klassischen Form des Bildermachens geblieben?

Ja, für mich war die Malerei und die Zeichnung von Kindheit an wichtig, und das war auch unabhängig von der Kunstszene, ich habe mich nie sklavisch an die Kunstszene gehalten und daran orientiert. Ich habe mir zwar gerne die Kunstszene betrachtet, und auch viel fotografiert, wie Du weißt, aber meine eigene Arbeit war eben für mich persönlich, und nicht für den Kunstmarkt. Und für mich persönlich war eben Zeichnung und Malerei die Sprache.

 

 

Das heißt, Du wärest selbst nicht auf die Idee gekommen, Fluxus Performances zu machen? Es wurde auch Donald Judd zitiert, eine Äußerung von 1965: “Der Hauptfehler an der Malerei ist, dass sie eine rechteckige Fläche auf einer flachen Wand ist.” Würdest Du das auch für einen Fehler halten?

Nä. Und Donald Judd war mir garnicht so nahe. Für mich war eben die Fotografie das neue realistische Medium der Betrachtung der Welt, und die Malerei war für mich die persönliche Reaktion für mich selbst. Ich habe die Malerei nie für den Kunstmarkt betrieben.

Ich denke, es gab manchmal auch Versuche, die Malerei zu ändern, so dass sie nicht mehr eine rechteckige Fläche auf einer flachen Wand ist. Z.B. gibt es Keilrahmen, die dann andere Formen haben, individuelle Formen.

Ja, das wurde vielfach versucht, aber im Grunde nicht besonders erfolgreich. Im Grunde ist die Malerei auf rechteckigen Flächen bis heute, bis hin zu Gerhard Richter, wie man weiß, immer noch dominierend. Und die Aktionskunst hat dann ihre Zeit gehabt, aber war dann auch irgendwann wieder verschwunden oder vergessen. Immer dann wenn sie nicht gründlich fotografiert und dokumentiert wurde, war die Aktionskunst ja sehr kurzlebig. Und insofern war ich schon Teil, wenn man so will, der Aktionskunst, auch besonders bei Beuys, indem ich viel fotografiert habe, aber selber nicht Aktionskünstler war, sondern ich war Fotograf, fotografierender Künstler, und Maler.

Stimmt, wenn die Aktionskunst nicht fotografiert worden wäre, wäre es heute schwierig, da überhaupt noch viel drüber zu erfahren.

Du weißt ja, in meiner fotografischen Arbeit taucht sie, wo ich sie erlebt habe, gründlich auf. Ich habe da alles fotografiert, was ich so erlebt habe, aber das war für mich nicht selbst ein Grund, Aktionskunst zu machen.

Und Du hattest auch nicht vor, z.B. achteckige Bilder zu machen, weil sie nicht mehr rechteckig sein dürfen?

Nee, auf die Idee kam ich nicht, hätte ich auch nicht gut gefunden.

Ich glaube, viereckige Bilder sind auch noch immer der eigentliche Normalfall.

Ja, die leben länger als die Aktionskunst.

Da es ja schließlich auch viereckige Bilder gibt, die schon Jahrhunderte alt sind.

Wobei, was Du so erwähnst, Dadaismus, Pop Art und Fluxus, natürlich auch zu ihrer Zeit sehr populär waren, und was ich schon sagte, wenn sie nicht fotografiert worden wären, wären sie längst verschwunden.

Das ist wahr. Insofern konnte solche Kunst vielleicht auch erst aufkommen, seit es die Fotografie gibt.

Ja, die spekulierte, ohne es auszusprechen, natürlich mit der Fotografie.

Mir scheint, es zeigt, dass Künstler zu dieser Zeit Konventionen überwinden wollten, und Beuys hatte ja den “erweiterten Kunstbegriff” der sich nicht auf Bilder beschränken sollte, aber gleichzeitig ist das Manifest “Der Fehler fängt schon an, wenn einer sich anschickt, Keilrahmen und Leinwand zu kaufen” etwas erzieherisch, Beuys weiß was gut für den Rest der Welt ist, er weiß was gut für alle Menschen ist, war er vielleicht doch der Messias, wie er teils kritisch teils bewundernd manchmal behauptet wird?

Beuys weiß, was gut ist für Dich, er weiß was für alle Menschen gut ist. Beuys hat sich ein bisschen zu einem Messias stilisiert, und hatte ja auch eine Reihe von Jüngern, wie sie Jesus auch um sich hatte und Beuys wurde ein bisschen mit diesem christlichen Idol in Verbindung gebracht. Norbert Kricke, ein Bildhauer der sehr sachlich war, der hat das Ganze dann zusammengefasst, wie er verärgert war: “das ist dem Beuys sein Jesus-Kitsch“. Wenn er so Beuys-Aktionen beobachtete, ne. Der war nicht überall beliebt, mit seinen Aktionen, schon garnicht bei den klassischen Künstlern, wie Kricke zu Beispiel.

Teilweise wurde das kritisiert, teilweise aber auch ernsthaft bewundert.

Ja natürlich, Beuys war einer der bekanntesten und bewundertsten Künstler seiner Zeit, natürlich, keine Frage. Und die ihn kritisiert haben, hatten das Pech, dass sie nicht so bekannt waren wie er.

Der Malerei auf Leinwand als dem typischen Kunstwerk wurden schon zu verschiedenen Zeiten andere Erscheinungsformen von Kunst entgegengesetzt, so zu Zeiten des Dadaismus, und später bei Pop Art und Fluxus.

Die Malerei auf Leinwand wurde jedenfalls nicht abgeschafft, sondern Dadaismus und Pop Art und Fluxus haben parallel oder dagegen ihre Kunstentwicklungen demonstriert. Die waren natürlich sehr abhängig auch von den Medien, von Radio, Fernsehen und Presse, darauf spielten die ja auch im Wesentlichen an.

“Alles ist Kunst” kursiert als Satz im Internet, der Satz wird manchmal Beuys zugeschrieben, oder auch dem französischen Fluxus Künstler Ben Vautier, der zeitweise alles signierte und damit zum Kunstwerk erklärte, was in seine Reichweite kam.

Da machte Beuys eine Variante draus, “Jeder Mensch ist in Künstler” dann guckte er in die Runde, hob den Zeigefinger, zeigte auf einen: “Du nicht!” Der Künstler als Figur spielte bei ihm immer wieder eine große Rolle. Und die Beuys Anhänger waren als in Aktion bekannt und wurden auch von der Presse beachtet, aber sie konnten schlecht Werke hinterlassen. Auch die Fettecke, die berühmte, von Beuys,  wenn sie nicht fotografiert worden wäre, würde man sie garnicht mehr kennen. Man braucht Fotografie, um solche Aktionskunst für die Kunstgeschichte zu retten.

Das ist wahr, die Fettecken haben sonst wohl nur ein begrenztes Haltbarkeitsdatum, vermutlich. Ich weiß garnichts darüber, ob die vielleicht bei Sammlern konserviert werden, in Kühlschränken, die Fettecken?

Ja, es gibt Sammlungen, natürlich, auch von den schwierigen Objekten, und es gab auch Beuys Ausstellungen mit inszenierten, installierten Sachen, abgesehen auch von diesen großartigen Sachen wie den Bäumen, oder den Schlitten, oder anderen Objekten, die Beuys in Museen ausstellte, wenn er die Chance hatte, und er wurde ja sehr geschätzt, es wurden ihm immer wieder Ausstellungen angeboten, so dass er immer wieder neue Dinge inszenierte, z.B. ein Klavier einzupacken in eine Wolldecke. Beuys Aktionen wurden auch teilweise zu Objekten. Das kannst Du im Internet ja googeln, das wird ja auch in Fotografien, die da sehr wichtig sind, dargestellt. Die Objekte wurden gesammelt, und auch in Museen präsentiert, aber es gab ja auch Filme. Viel wurde ja auch abgefilmt von solchen Aktionen.

Um auf den Satz “Alles ist Kunst”  zurückzukommen, es könnte auch zu Orientierungslosigkeit führen, wenn man alles zur Kunst erklärt?

Ja, die Orientierung ist sowieso innerhalb der Kunst ein großes Problem, nur in der klassischen früheren Form, wo es Malerei auf Leinwand und in Gebäuden, in Räumen gab, und Skulpturen, da war noch klar, was Kunst ist und was nicht. Später wurden alle möglichen Dinge so inszeniert, dass sie zu Kunstwerken erklärt wurden. Wenn da die Presse mitmachte und das Galeriesystem, dann war das Objekt, das zum Kunstwerk erklärt wurde, dann auch tatsächlich ein Kunstwerk. Da wurde Kunst auch abhängig von der öffentlichen Akzeptanz.

Ist es verrückt, alles zur Kunst zu erklären? Neigen Künstler zu einer gewissen Verrücktheit, Genie und Irrsinn?

Künstler neigen nicht zu einer gewissen Verrücktheit, wie Du fragst. Sie sind, was sie sind. Andere nennen sie verrückt, oder Genie, oder irre. Künstler machen, was sie wollen. Und das Publikum muss es halt zur Kenntnis nehmen, oder weggucken.

Manche erklären sich auch selbst zum Genie, wie z.B. Markus Lüpertz, der ja quasi sich selbst erfunden hat, habe ich mal irgendwann gelesen.

In dieser Zeit wurde der Künstler selber als Person sehr wichtig. Wichtiger als in früheren Zeiten, wo die Werke wichtig waren, und der Künstler mehr oder weniger ein großartiger Handwerker war. Der Künstler wurde in der Neuzeit eben so eine Art Ikone, so ein Art Figur, und jeder versuchte sich so deutlich als möglich zu so einer Figur zu stilisieren. Wie Du weißt, ich habe das nie gemacht, ich habe nur mit meinen Arbeiten mich präsentiert, aber nicht als Ikone, als Künstler, als Anhänger von Beuys oder von sonst jemandem.

Dann gibt es da noch den Satz “Alles was ich mache ist Kunst”, von wem mag das Zitat stammen, vielleicht von Dir? ;-)))))

Ich glaube, ich habe es nicht gesagt, denn ich habe nicht alles was ich mache, Kunst genannt, wenn ich koche zum Beispiel ist das keine Kochkunst, oder wenn ich eine Wohnung einräume, oder ausräume, oder ein Atelier einrichte, das ist ja auch keine Kunst, sondern Kunst ist bei mir das, was ich als Arbeiten, als Kunst, mache, Malerei im Wesentlichen, bis heute. Und Fotografie, manchmal. Aber die Fotografie nehme ich nicht so als Kunst, sondern als Realismus, als Beobachtung der Wirklichkeit.

Alles was ich male, ist Kunst, das würde man vielleicht bei einem Maler für selbstverständlich halten.

Alles, was ich male, ist Kunst, warum auch nicht, was soll es denn sonst sein? Ob es nun großartige und teure Kunst ist, das müssen andere entscheiden. Ich handle nicht mit meiner Kunst, manchmal habe ich etwas verkauft, aber nicht oft, ich bin eigentlich auf dem Kunstmarkt in dem Sinne nicht vertreten.

“Jeder Mensch ist ein Künstler”, meinte Beuys, oder meinte er es vielleicht doch nicht ganz so wörtlich?

Den Satz hat Beuys ja dadurch pointisiert, dass er auf irgendeinen gezeigt hat, in seiner Umgebung, Finger drauf: “Du nicht!”

Da war derjenige wahrscheinlich leicht irritiert in dem Moment.

Ja. Ich habe Beuys stattdessen fotografiert, und da hat er nicht auf mich gezeigt. Er hat auch das Fotografieren nicht verboten, wie Du weißt, ich habe ja ein Buch alleine mit den Fotos von Beuys gemacht. Ohne die großartig zu kommentieren, ich maße mir nicht an, Beuys’ Kunst zu beurteilen, sondern es war für mich meine Beobachtung mit der Kamera.

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