Interview Teil 6 – Kindheit im Ruhrgebiet

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Interview des vm2000.net mit Jörg Boström

Du hast Deine Kindheit größtenteils im Ruhrgebiet und der Rhein-Ruhr-Region verbracht, in Dinslaken und Leverkusen. Die Waldsiedlung ist ein Stadtteil von Leverkusen, dort habt Ihr gelebt?

Ja, das haben wir, und in der Waldsidlung war ich auch als Kind lange Zeit, und da haben wir auch im Wald gespielt. Da haben wir Feuer gemacht im Wald, und haben uns auch ein paar Kartoffeln gebraten. Das war so richtig schönes Abenteuer, die Waldsiedlung, für uns.

Du warst dann auch irgendwann bei den Pfadfindern?

Ich war beim BDP, dem Bund Deutscher Pfadfinder. Und da war ich eine zeitlang, habe ich übernommen von einem Freund von Harald, meinem älteren Bruder. Als ich da hinkam, haben die mich zum Stammführer ernannt. Und dann hatte ich sozusagen mal wieder so eine Aufgabe. Und die Aufgabe bestand dann darin, die Gitarre unter den Arm zu nehmen, und in den Wald zu gehen, und da Feuer zu machen. Da versammelten wir uns dann um das Feuer herum, und haben Lieder gesungen, und uns etwas erzählt. Das war eine sehr schöne Zeit, und wir haben als Pfadfinder eben auch blaue Hemden getragen, und so einen Pfadfinderschlips. Wir waren richtig engagierte Pfadfinder, eine zeitlang. Und ich habe auch schon als Kind immer so ein Gruppengefühl gehabt, ne, dass ich mich mit Gruppen, anderen Kindern getroffen habe, und später, als ich älter wurde, als Junge, habe ich dann auch gerne Pfadfinder gespielt. Das war ein Stück Kontakt, der für mich immer wichtig war. Wie Du weißt, bis heute, ist ja für mich Kontakt wichtig, Gruppenkontakt. Und wir sind auch als Pfadfinder im Wald gewandert, und haben auch Radtouren zusammen gemacht. Und das ging auch so ein bisschen in die Umgebung von Leverkusen, Schleebusch.

Ihr habt dann ja sicher fachgerecht Feuer gemacht, und das fachgerecht auch wieder ausgehen lassen?

Auch wieder gelöscht, natürlich. Wir haben den Wald nicht angesteckt.

Das beruhigt mich.

Diese Pfadfinder-Existenz war für mich als Kind und Jugendlicher sehr interessant. Ich hatte einige Freunde um mich, die auch in der Gegend wohnten. Wir haben ja auch Fahrradtouren zusammen gemacht. An die Nordsee haben wir eine Fahrradtour gemacht, hast Du ja auch gesehen, wahrscheinlich, die Fotos. Das waren Zeltfahrten. Das war wunderschön, abends dann das Zelt aufzubauen, und  Kaffee zu kochen, und alles mögliche, und auch zu kochen, überhaupt, Kartoffeln und so weiter. Mit dem Fahrrad am nächsten Tag weiter. Wir kamen da auch bei meinem Onkel Götz vorbei, den habe ich dann ja auch besucht. Das war der Pfarrer von Oldenburg, und der Bischof von Bückeburg, später. Onkel Götz war der Bruder meine Mutter, und er war mein Patenonkel, dazu wurde er ernannt.

Und er war Jugendpfarrer, und dadurch hatte er etwas übrig für Eure Aktivitäten?

Ja, das war er, richtig. Dadurch hatte er auch sehr viel Sinn für das, was wir so machten. In Ahlhorn hatte er auch eine Residenz, das war bei Oldenburg, und da konnten wir auch bei ihm im Zelt wohnen, und in einer Hütte, die er für uns zur Verfügung gestellt hat, und wir konnten gut rudern auf dem Teich, auf dem See in der Nähe. Davon gibt es auch Fotos.

Stimmt, ich kann mich erinnern an ein Foto mit Ruderboot.

Ja, war eine schöne Zeit. Ich habe eigentlich mein Kindheit und meine Jugend eigentlich muss ich sagen ohne große Probleme sehr genossen, und ich habe mir ja selber mit meinen Freunden eben solche Abenteuer verschafft, durch Reisen und durch Zelten. Und was ich auch damals teilweise gemacht habe, aber nicht so viel, waren ein paar Fotos. Aber ich habe damals wohl mehr gezeichnet, allerdings sind die Zeichnungen verlorengegangen. Ich weiß nicht mehr, wo sie sind.

Ich wollte ja eigentlich fragen, ob Du die Kultur des Ruhrgebiets kennengelernt hast, die Dich künstlerisch beeinflusst hat, aber als Jugendlicher hast Du anscheinend garnicht so sehr das Ruhrgebiet wahrgenommen?

Doch, mein Vater hat ja gearbeitet, in der Industrie, da habe ich natürlich auch als Jugendlicher schon Werksbesichtigungen gemacht. Und eine Fabrik wo er arbeitete, wo die Metall verarbeitet haben, und daraus eben ja so Waffen auch hergestellt haben.

Ach ja, stimmt, das war ja die Kriegszeit.

Das war noch teilweise die Kriegszeit, ja. Meine Jugend habe ich eigentlich genossen, obwohl ich Bombenangriffe erlebt habe. Ein Haus ist sogar so zerbombt worden, dass es beinahe zusammengefallen ist, und wir mussten dann aus dem Haus flüchten. Und das mach mal als Kind, bei Bombenangriffen zu flüchten, und dann in den Straßengraben zu springen, wenn die Flieger über Dich hin sausen, und schießen. Das war schon eine spannende Zeit, muss ich sagen. Ich habe nicht gezittert, ich hab das mehr als Abenteuer empfunden. Und auch später das Leben auf den Trümmern, ich war ein Trümmerkind wie das jetzt ja auch heißt. So dass wir dann auf Trümmern gespielt haben, auch, wenn es nicht gerade mal wieder einen Bombenangriff gab.

Die Trümmer waren dann natürlich auch im Ruhrgebiet sichtbar?

Unbedingt, ja. Das Ruhrgebiet wurde ja sehr stark bombardiert, weil das ja auch ein Industriezentrum war, für die Waffenherstellung auch ein Zentrum. Und deshalb wurde da besonders viel gebombt, und meine Eltern haben dann mit uns zusammen unsere Großmutter in Sondershausen, Thüringen, aufgesucht, weil sie hofften, dass da weniger gebombt wird. Das Gegenteil war der Fall, die haben da unser Haus buchstäblich zusammengebombt. Kannst Du Dir vorstellen, wie das ist, wenn Du aus dem Haus rausrennst, in eine nasse Decke gehüllt, über den Hof, mit Deiner Familie, und dem Bruder, und hinter Dir wird das Haus zusammengebombt, in dem Du noch gerade gewohnt hast?

Das kann ich mir nicht so ganz vorstellen.

Das ist schon wirklich ein starkes Gefühl. Wenn Du das überstehst, habe ich mir damals gesagt, dann kann Dir nichts mehr passieren. Und seit der Zeit war ich ja auch nicht besonders ängstlich. Ich habe im Grunde mein Leben ohne Angst im Wesentlichen verbracht, durch diese Kindheitserfahrung sozusagen hart geworden.

Aha. Na ja, das wirkt sich nicht bei allen Kindern so aus.

Hmh, nein, manche kriegen ja dann die Angst richtig in die Knochen. Aber ich habe die Angst gewissermaßen mir abgewöhnt, ich habe damals auch gesagt, schlimmer kann es nicht werden.

Ah ja, das traf ja dann auch zu, denke ich.

Ich habe ja auch einen Text geschrieben, darüber, wie mein Spielzeugtier weggeflogen ist, weil die Bombenwut es weggeschleudert hat.

Hat das Ruhrgebiet Dich künstlerisch beeinflusst?

Das Ruhrgebiet hat mich sicherlich beeinflusst, das ist ja meine Herkunft, Duisburg, da bin ich geboren. Die Industrie war für mich Besichtigungsplatz, wie ein lebendiges Museum, da konnte ich rein wenn ich meinen Vater, der darin arbeitete, besuchen durfte, da konnten wir Führungen machen durch die Industrie, durch große Walzwerke. Ein großes Walzwerk, das Stahlplatten herstellte für die Panzerherstellung, also Rüstungsindustrie.

Das ist ja wahrscheinlich beeindruckend, wenn auch etwas unheimlich, solche Riesenpanzer.

Ja, und wir als Kinder haben ja viel Krieg gespielt. Wir hatten kleine Soldaten und wir hatten kleine Panzer und haben dann auf Wiesen und so weiter Schlachten als Spiel durchgeführt. Durchgespielt, war so unser Hauptspiel.

Das ist natürlich kein Wunder in der Kriegszeit.

Nee, das war die Art, wie wir damit fertig wurden, wie wir das gewissermaßen uns angeeignet haben, und die Angst abgebaut haben.
Ich habe dann später ja gerne, weil ich ja auch als, also das darf man ja eigentlich jetzt kaum noch sagen, ich war ja als Kind, da gab es da ja die Hitlerjugend. Ich weiß noch, dass ich als Kind aus dem Fenster geguckt habe, wie die Hitlerjugend in Hitleruniformen und Kostümen also Hemden usw. vorbeikam und einen Fußball vor sich hertrampelte. Und ich war so neidisch, und dachte, ich will auch einen Fußball haben, da muss ich aber zuerst zur Hitlerjugend. Mal gucken, mal sehen, wie es geht. Da war ich aber noch viel zu jung dafür. Das hat sich dann später nicht mehr ergeben, weil der Krieg, Gott sei Dank, vorbei war.
Als der Krieg anfing, 1939, da war ich 3 Jahre alt. Und als der Krieg zu Ende war, 1945, da war ich 9 Jahre alt. Ich habe also den Krieg als Kind gründlich erlebt. Und die Trümmer der Häuser ringsrum, die wurden nachher unsere Spielplätze. Das war eine abenteuerliche Szene, ich weiß noch dass ich später mich amüsiert habe über Spielplätze in Friedenszeiten, wo die Kinder eben mal Schaukeln und im Sand spielen, aber nicht so spannendes Gelände hatten wie wir mit den Trümmerszenen.
Es gibt ja jetzt ein Buch Trümmerkinder, und das habe ich natürlich auch gelesen. Meine Generation erinnerte sich an diese Zeit, und wer Schriftsteller ist, machte dann gerne mal ein Erinnerungsbuch.

 

Hast Du später mal das Ruhrgebiet vermisst, z.B. zu der Zeit in Düsseldorf oder in Bielefeld?

Die Kultur des Ruhrgebiets hat mich sicherlich beeinflusst, ich habe ja auch eine zeitlang solche Materialbilder gemacht. Ich hab ja auch eine zeitlang Bilder gemalt, von Arbeitern, und viele Fotos gemacht. Ich bekam meinen ersten Job als Lehrer auch in Duisburg. Das Ruhrgebiet vermissen, was solls. Ich war immer da, wo ich gerade bin. Jetzt bin ich z.B. in Minden.

Könnte man sagen, dass Du die Umwandlung von Industrieanlagen und Zechen des Ruhrgebiets in Museen und Kulturveranstaltungsorte miterlebt hast, auch mit der Kamera?

Die Umwandlung von Industrieanlagen und Zechen des Ruhrgebiets in Museen, das ist eigentlich ein bisschen übertrieben, wie Du das fragst. So viele Museen gab es da natürlich nicht, aber es wurde aus dem Verfall der Industrie teilweise eben auch Kultur gemacht. Auf jeden Fall mit der Kamera, und auch mit der Malerei.

Ich denke, ich habe das etwas optimistisch formuliert, denn man könnte ja sagen, hast Du die Stilllegung der Industrieanlagen miterlebt, aber daraus wurde ja teilweise auch etwas Neues.

Ja nee, das hat mich nicht besonders erschüttert, das war einfach ein Stück Leben, es änderte sich viel. Und mein Vater war ja als Ingenieur in der Industrie tätig, da habe ich ja die Industrie hautnah erlebt, wenn ich ihn besuchte.
Und Du siehst ja an meiner Fotografie, wie sehr da die Industrie ein Rolle spielt, viel mehr als die Landwirtschaft. Und die Ruhrgebietsstädte wie, Bruckhausen z.B. war für mich auch ein ganz wichtiger Stadtteil. Da wohnte auch ein Freund von mir, ein Pfarrer, Michael Höhn. Dadurch hatte ich nochmal einen engeren Kontakt zu Duisburg Bruckhausen. Einerseits war das meine Kindheit, Duisburg, und andererseits war das mein Freund, der Pfarrer in Bruckhausen, und meine Erinnerung und meine Fotoarbeit, spielte alles im Ruhrgebiet eine starke Rolle. Mehr als in der Landwirtschaft, und mehr als in Hamburg, oder mehr als in München, oder sonstwo. Das Ruhrgebiet war schon ein wichtiges Thema, in meiner Biografie und in meiner Bildnerei.

Du hast nicht nur Fotografien sondern auch einige Gemälde, die Bergleute zeigen, oder einen Arbeitsplatz, oder eine Ölkanne.

Genau. Ich habe auch Arbeitergruppen, Familien, gemalt.

Du würdest Dich aber nicht unbedingt als Industriemaler bezeichnen?

Nein, das wäre wirklich übertrieben. Es ist nicht Industriemaler, es ist mein Leben. Meine Kunst ist mein Leben, habe ich schon immer so gedacht, und auch gemacht. Nicht weil Industrie für mich als solche wichtig ist, sondern als Stück meines Lebens.

 

 

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