Interview Teil 3 – Das Abenteuer der Wirklichkeit

Share

Interview des vm2000.net mit Jörg Boström

Hat Kunst Deiner Meinung nach auch etwas mit lebenslangem Lernen zu tun?

Ja, gerade, unbedingt. Für mich gehört Kunst zum Leben. Das ist bei mir so seit meiner Kindheit gewesen, ich habe als Kind schon gezeichnet, und dann als Schüler, und so weiter. Für mich ist Kunst Reaktion auf das Leben. Und es war nie Reaktion auf die Kunstszene, d.h. nur ganz kurze Zeit. Ich habe immer meine Kunst gemacht, ohne großartig darauf zu achten, in welche Schublade in der Kunstszene ich nun passe, oder nicht passe.
Ich war immer am Gegenstand interessiert, ich habe meine Umgebung mit dem Zeichenstift beobachtet, und dargestellt, und war immer dabei, was sich Wirklichkeit nannte, Realität, das anzufassen, insofern habe ich mich immer als Realist in der Kunst gefühlt. Ich habe mich nicht nur so gefühlt, ich war es auch, bin es noch.
Das weißt Du ja, wenn Du meine heutigen Bilder siehst, dass ich immer noch Realist bin, dass ich meine Kunst auf mein Leben beziehe, auf meine Umgebung, was ich sehe, und was ich fotografiere. Insofern ist die Fotografie für mich auch ein wichtiges Instrument gewesen. Wie einen Zeichenstift habe ich die Kamera benutzt, und mit den Fotografien habe ich dann wie mit Skizzen Malerei weiterentwickelt.

 


Ich finde ja ehrlich gesagt, Deine Bilder sind interessanter, als die Realität.

Das kann ich gut verstehen, das geht mir auch so, aber sie spiegeln ja doch Realität wieder, nur das sie bei mir zu Kunst werden, dadurch sind sie natürlich, wenn man so will, interessanter. Ich mache sie ja, um die Realität zu steigern.
Die Realität gewissermaßen in Kunst zu verwandeln, das war schon immer meine Arbeit. Ich hätte ohne Kunst nicht gerne gelebt, ich habe immer mit Kunst gelebt. Niemand hat von mir verlangt, dass ich mit Kunst aufhöre, aber niemand hat sich auch um meine Kunst großartig gekümmert, so dass ich immer mit meiner Kunst bei mir war, und nicht bei der Kunstszene, die für mich eine fremde Szene ist.

 


Ihr hattet damals in Düsseldorf mal die Kunstszene mit einem Karussell vergleichen, das sich ständig um sich selbst dreht.

Genau, ich glaube, diesen Ausdruck habe ich mal benutzt, die also nicht die Wirklichkeit erreicht, sondern immer nur Kunst, macht Kunst, macht Kunst, macht Kunst, also die Realität wird dann ausgespart, und das finde ich, aus meiner Sicht, aus meinem Leben, nicht interessant genug, als das ich mich daran beteilige. Ich verwende die Malerei und die Zeichnung und die Fotografie als Spiegel der Realität, und wenn man so will, auch als Selbstspiegelung.

 


Du hast aber nicht vor, die Realität durch Kunst erträglicher zu machen?

Nein das sehe ich nicht so, ich finde die Realität durchaus erträglich, ich lebe gerne in der Realität, ich muss sie nicht erträglicher machen, und ich muss auch nicht die Realität gewissermaßen durch Kunst verbessern, sondern es ist eine Spiegelung, ein Dialog sozusagen, Realität und Kunst bei mir.


Ich denke, die Kunst ist manchmal auch ganz schön abenteuerlich, z.B. als ihr damals mit Studentenprojekten in Zechen eingefahren seid.

Ja, das war abenteuerlich, weil die Wirklichkeit abenteuerlich ist, und weil ich am Abenteuer der Wirklichkeit sehr interessiert bin, auch als Fotograf, und als Künstler. Die Wirklichkeit selber ist abenteuerlich genug.

Und Ihr seid damals mehrere Stunden lang in einer Zeche gewesen?

Ja, das hat mich immer sehr interessiert, das hängt auch mit meinem Leben zusammen, ich bin ja ein Kind des Ruhrgebiets.
Ich habe es auch den Studenten so empfohlen, ich habe ja zum Teil Touren ins Ruhrgebiet auch mit meinen Studenten gemacht. Als ich Fotodozent wurde, habe ich versucht, meine Fotografie auch den Studenten nahezubringen. Also nicht die Fotografie als Labor und abstrakte Kunst, sondern als Spiegelung der Realität.


Ich würde sagen zwischen Fotolabor und Zeche gibt es durchaus die Verbindung, dass es in beiden schön dunkel ist.

Das kann schon sein, aber das ist beim Labor ja unvermeidlich, heute muss man ja nicht mehr ins Labor, da arbeitet man ja digital, das hätte ich damals auch gemacht, wenn es damals schon möglich gewesen wäre.

D.h. die Dunkelheit des Labors hat Dich nicht so sehr fasziniert?

Nein, das war nicht die Faszination. Allerdings, das Erlebnis, das aus dem weißen Fotopapier durch die Belichtung im Entwickler nach und nach Stück für Stück, Sekunde für Sekunden ein Bild wurde, das hat mich schon immer fasziniert, bei der Laborarbeit.

Du machst gerne aus Bildern Bücher, weil Bücher der Nachwelt erhalten bleiben als greifbares Papier?

Ja, Bücher kann man anfassen, das ist für mich etwas Reales. Was nur im Rechner ist, ist mir eigentlich zu wenig. Fotografien müssen für mich letztendlich auf Papier sein.

Es geht darum, dass Papier das ursprüngliche Trägermaterial für ein Foto ist, und deshalb ein Foto immer auf Papier sein sollte?

Im Grunde sind für mich Bilder entweder Papier oder Leinwand, irgendetwas Materielles jedenfalls, solange sie nur im Netz existieren, sind es für mich keine Bilder, eigentlich.

Im Netz ist natürlich die Flüchtigkeit der Bilder größer. Es gibt Bilder, die nur für 24 Stunden im Internet geteilt werden.

Warum soll ich die Lebensdauer der Bilder begrenzen? Von meinen Bildern hoffe ich, dass sie noch lange leben, länger als ich.

Würde nun noch die Frage stellen, welche deiner Ausstellungen am meisten Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat?

Das war die Ausstellung mit Fotografien aus dem Tichauer Weg, Obdachlosigkeit,  in der Kunsthalle Düsseldorf . Die hat Presseberichte gebracht bis nach Süddeutschland. Die ist am aufmerksamsten wahrgenommen worden. Ich habe mir später immer mal gewünscht dass meine Kunstausstellungen, Malerei, auch soviel Aufsehen erregen, aber das taten sie nicht. Diese Obdachlosen Tichauer Weg Ausstellung hat die meiste Aufmerksamkeit erreicht. Soviel Presse habe ich nie wieder gekriegt.

Das lag wahrscheinlich daran, dass diese Ausstellung in der damaligen Kunstszene eine Art Provokation war?

Natürlich. Wie unsere Gruppe PSR ja auch eine Provokation war.

Es war ja die Zeit, als die abstrakte Kunst dominierte, und wir machten ja eine Gegenbewegung, mit unserer realistischen Fotografie, und auch Malerei. Der Gegenstand sei nicht mehr tragfähig, hieß es ja damals, und ich habe gesagt, von wegen, die Abstraktion ist einfach langweilig, der Gegenstand ist wieder wichtig, die Menschen sind wichtig, und die Räume. Und die besonderen Extreme haben wir ja dann auch ausgesucht, in der Industrie, und dann im Odachlosenbereich. Das war ja in der Kunst nicht geschätzt, war nicht vorhanden, die Industrie.

Die Industrie kam damals in der Kunst garnicht vor, noch nicht einmal in der Fotokunst?

In meiner, ja.

Euer Anliegen war, die Menschen zu zeigen im Zusammenspiel mit der Industrie?

Ja, die Armut auch. Die Arbeiterschaft, wenig gesehen, und die Armut eben, in der Obdachlosigkeit. Portraitfotografie gab es schon, aber die war von ausgesuchten Personen, die genug Geld hatten, sich portraitieren zu lassen. Uns ging es um soziale Proteste. Die Obdachlosigkeit, das Elend in den Obdachlosenquartieren. Die wurde ja überregional besprochen, unsere Ausstellung. Und das Obdachlosenquartier wurde auch nach kurzer Zeit abgerissen, weil wir es wohl in die Kritik gebracht hatten. Die elenden Unterbringungen der Familien.
Und da ging sonst normalerweise ja kein Künstler und kein Fotograf rein, das war ja für uns eben für die Gesellschaft neu, dass wir uns mit der Armut so beschäftigten.

Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.