KUNSTVER-BINDLICH
Jörg Boström – Alexander Gierlings – Andreas Jackstien
Text: Frank Duwe
Die Betitelung der in Minden ausgestellten Arbeiten ”KUNSTVER-BINDLICH” mag assoziativ Gedanken an „unverbindlich“ hervorrufen, unverbindlich ist die gezeigte Kunst jedoch ganz und gar nicht. Im Gegenteil: „KUNSTVER-BINDLICH“ gibt einen Verweis darauf, dass zeitgenössische Kunst durchaus etwas „Verbindendes“ und damit einen Anspruch eröffnen kann, den Anspruch nämlich, Positionen gesellschaftlicher, politischer, aber auch individueller Art miteinander in Verbindung zu setzen. Historisches und Künstlerisches können in solche „Verbindungen“ ebenso einfließen, wie eigene Gedanken und Befindlichkeiten der auf dem Feld der Kunstakteure in einen Dialog Tretenden, Künstler und Betrachter. Im speziellen Fall dieser Ausstellung kommt auch noch der Aspekt hinzu, dass die präsentierten Künstler über Jahre einen intensiven Austausch untereinander pflegen, der in einem kontinuierlichen Dialog Fragen, Gewissheit, Kritik und Weiterentwicklung hervorbringt; um es mit einem historischen Begriff zu plakatieren: eine Art Künstlerschule, die allerdings ohne stilistische Kanonisierung und Gleichschaltung auskommt.
Was beim Rundgang durch die Ausstellung auffällt, ist die Vielfalt der künstlerischen Standpunkte. Wir treffen auf Fotografie, Malerei, Zeichnung und auf plastische Werke. Was ebenfalls auffällt, ist die Tatsache, dass alle gezeigten Arbeiten eng aus der direkten Auseinandersetzung mit dem Material hervorgehen. Klassische Positionen, die sich in der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts (damals avantgardistisch) entwickelten, werden von Jörg Boström, Alexander Gierlings und Andreas Jackstien auf ihre Bedeutung und Tragfähigkeit in unserer Zeit neu austariert und hinterfragt. Ein Sich-Öffnen gegenüber Historischem ist an vielen Stellen deutlich zu erkennen.
So haben die langen Schatten in der etwas älteren Schwarzweiß-Fotografie von Boström durchaus etwas „De Chiricoeskes“, wenngleich das Dokumentarische der fotografischen Momentaufnahme (z. B. russischen Alltagslebens) immer mehr oder weniger mitschwingt und den Bildern etwas merkwürdig Mystisches verleiht. In anderen Arbeiten experimentiert Boström mit den chemischen Möglichkeiten der analogen fotografischen Techniken und kommt dadurch zu sehr abstrakten informellen Bildern, die für assoziative Perspektiven der Betrachter offen sind. Boström, ursprünglich eigentlich Maler der berühmten Düsseldorfer Kunstszene der 1950er und 1960er Jahre, lässt hier auf faszinierende Weise Malerei und Fotografie „ineinander fließen“.
Auch Jackstien liebt es, an verschiedenen Punkten der Kunstgeschichte „anzudocken“, um diese in seine eigene künstlerische Gestaltungswelt der Jetztzeit zu integrieren. Zeichnung und Malerei treten in seinen Bildern in einen intensiven Dialog, wobei sich die Farbe von ihrer rein illustrativ-mimetischen Gebundenheit befreit und auf expressive Weise gleichberechtigt mit der Zeichnung kommuniziert. Auch bei Jackstien treffen wir nicht selten auf Bildräume, die in ihrer perspektivisch gebrochenen Bühnenhaftigkeit entfernt der Pittura Metafisica entlehnt sein könnten. Assoziative Setzungen in den Titeln verweisen zuweilen auf Klassiker wie Vermeer, Matisse oder Mondrian, die sich mit raffinierten Anspielungen („Fensterbilder“, „Rot-Gelb-Blau“) in größeren kompositorischen Zusammenhängen wiederfinden. Der Raum des zweidimensionalen Bildes wird immer wieder aufs Neue erforscht und definiert.
Die plastischen – und damit räumlichen – Arrangements gehen allesamt auf den kreativen Erfindungsreichtum Gierlings zurück. Seit der Entdeckung des objet trouvé sind sowohl das reine Materialbewusstsein als auch die Aufmerksamkeit für „gefundene Objekte“ der Alltagswelt in der Kunstgeschichte eine nicht in Frage zu stellende Größe. Gierlings arbeitet auf diesem Feld gezielt mit Materialien aus ganz unterschiedlichen Bereichen, die in unterschiedlichem Maße künstlerischen Eingriffen unterworfen werden. So werden unbearbeitete Metallteile und Steine z. B. mit vom Künstler expressiv bearbeiteten Holzblöcken zu Kompositionen zusammengefügt. Filigrane, schon fast grafisch in den Raum geschriebene Anordnungen kontrastieren in seinen Installationen mit volumenintensiven, kompakten Holzteilen. Das lebendige organische Material Holz trifft auf das anorganische des Metalls und des Steins. Manche Arbeiten erinnern an Giacometti, andere assoziieren – auch in den Titeln nachzuverfolgen – Themen aus der Geschichte (z. B. die damaligen Liquidatoren in Tschernobyl) oder der Philosophie und Mythologie. Zuweilen werden manche Werke durch kleine lyrische Poesien ergänzt, die den Fokus des Betrachtenden auf Zusammenhänge mit anderen künstlerischen Feldern lenken und dadurch zum Weiterdenken animieren.
Mit ihren ausgestellten Werken öffnen Boström, Gierlings und Jackstien neue Blickfelder und regen zu Gedanken an, die es wert sind, weiterverfolgt zu werden. Historische Perspektiven erweitern sich in unsere Gegenwart und machen in den gezeigten Arbeiten deutlich, dass es faszinierend sein kann, sie mit unserem jetzigen kulturellen und geistesgeschichtlichen Bewusstsein zu konfrontieren, um daraus neue Einsichten zu gewinnen.
Frank Duwe ist promovierter Kunstwissenschaftler und lebt in Bielefeld
Copyright: Mindener Tageblatt, 27. September 2017. Texte und Fotos aus dem Mindener Tageblatt sind urheberrechtlich geschützt. Weiterverwendung nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion.