Fotografien: Harald Neumann
Text: OverLAPS
In 1100 Metern Höhe auf dem Monte Bregagno in Italien, oberhalb des Comer Sees realisierte Ralf Witthaus mit seinem Team ein temporäres Kunstprojekt: IL TESORO SMARRITO – eine 650 Meter lange Halskette, die sich als Zeichnung im Gras am Grat des Berges emporschmiegt.
Der Monte Bregagno liegt inmitten der italienischen Alpen, als Ort für eine Rasenmäherzeichnung von Ralf Witthaus eignet er sich deshalb, weil er in vergangenen Zeiten landwirtschaftlich genutzt wurde: die Baumgrenze ist bereits ab 1000 Metern über Null, darüber ist einfach nur noch Wiese und Stein. Der Berg ist als Weideland jedoch heutzutage kaum noch in Gebrauch. Er ist quasi wie ein öffentlichen Raum – und ein Ort ganz nah an den Touristenströmen des Comer Sees und doch fast menschenleer.
Zum Fusse des Berges liegt Musso, sowie eine Handvoll weiterer Gemeinden, denen eine besondere Tradition eigen ist. In den Schmuckschatullen der Familien finden sich hier sehr alte rote Korallenketten mit silbernen Perlen, weitergegeben von Muttern zu Töchtern über viele Generationen, wertvoll und unverkäuflich. Diese Ketten sind deshalb so identitätsstiftend, weil ihnen ein Versprechen anhaftet, wenn auch die Namen und die Umstände der Familienmitglieder – der Beschenkten und der Schenker – längst dem Vergessen anheim gefallen sind.
Vor etwa 150 bis 300 Jahren war es wirtschaftlich kaum möglich für einen normalen jungen Mann am Comer See eine Familie zu gründen. Deshalb zogen viele nach Palermo um ihr Glück zu machen. Und vielen gelang es, und sie kehrten nach wenigen Jahren mit Vermögen zurück und heirateten die Frauen, denen sie ihr Herz versprochen hatten. Damit eine junge Frau auch wirklich auf den Versprochenen wartete, sendete der junge Mann ihr zum Ausdruck seines Versprechens aus Palermo eben je Korallenkette oder auch einen speziellen Ohrschmuck, der ebenfalls bis heute getragen wird.
Die Kuratorin Chiara Donisi des Vereins OverLAPS (www.overlaps.it) lud den Künstler Ralf Witthaus zu dem Kunstprojekt ein: „Die Region oberhalb des Comer Sees ist heute so gut wie verlassen, vor 50 Jahren war das noch ganz anders, die Menschen hier lebten von Land- und Viehwirtschaft. Das war nur möglich, wenn man die Möglichkeiten in den Alpen komplett ausnutzte, den Rhythmus der Jahreszeiten folgte und sich mit den Tieren im Gebirge auf- und abbewegte. Das Kunstprojekt ist interessant für uns, denn wenn Leute wieder kommen, um sich diese Landschaft anzusehen, werden sich auch Menschen finden, die sich darum kümmern wollen. Das Potential des schönen Ortes ist immens. Wir bieten eine Plattform an für Imagination – ausgehend von der Tradition – hinführend zu der Diskussion für eine angemessene und nachhaltige Entwicklung.“
Ralf Witthaus und sein Team zeichnete 10 Tage lang mit Akku- und Motorsensen auf den Hängen des Monte Bregagno – der Kontrast der Zeichnung ist braun zu grün – und das rasche Zuwachsen der riesigen Zeichnung gehört für ihn dazu. Für ihn ist die fertige Zeichnung nur ein Teil des Projektes, genauso wichtig ist ihm der performative Entstehungsprozess – sein Team arbeitet in schwarzer Anzughose und weißem Hemd. Ralf Witthaus sagt dazu: „Rasenmähen – also in dieser Form zu Zeichnen – ist natürlich weniger Veränderung sondern mehr eine künstlerische Geste – die Natur wird das Kunstwerk in wenigen Wochen wieder zuwachsen lassen. Das gehört für mich dazu. Was mich hier interessiert ist, dass diese besondere Agrarlandschaft revitalisiert werden kann. Dies ist eines der schönsten Plätze der Welt. Die Kette nimmt Bezug auf das Versprechen der jungen Männer einst: Ja, hier gibt es etwas, das wert ist, zurückzukommen.“
Das Projekt wurde ermöglicht durch die Förderung der Comune Musso, Fondazione Cariplo und STIHL.
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