Das Gürteltier flog hundert Meter weit. Am nächsen Morgen lag es am Abhang vor dem Zoogeschäft. Die Bombe hatte unser Haus aufgeschlitzt. Mit dem Einschlag war der Keller schwarz. Erst beim Biß in den Staub auf meinem Blutwurstbrot begann ich zu schreien wie später nie wieder. Als wir unter nassen Wolldecken durch den brennenden Hof rannten, sah ich kurz zurück.
Der Sessel von Tante Clara klammerte sich an die Wand. Sie gab es danach nicht mehr. Als wir am nächsten Tag auf dem Schuttberg nach ihr suchten, betete ich, daß wir nichts von ihr finden mögen und so blieb sie versteckt.
Mein Bruder mit zehn Jahren paßte noch durchs Kellerfenster, wenn man nachschob. Alles kaputt, neuer Brandbombenangriff, piepste er. Wir kletterten über Trümmerberge. Unsere Spielwelt brannte, die der Großen ging in Stücke.
Wir hatten ein Haus am “Sternplatz” bezogen, heute benannt nach Karl Marx.Es gehörte einer alten Dame, die beim gleichen Angriff getötet wurde. Ich stellte mir vor, wie sie da liegt, auf der Frankenbergstraße. Hier gibt es noch ein wichtiges Kellerloch. Ich starre hinaus. Es ist wie im Kriegsbilderbuch. Soldaten kriechen über die Wiese, Amerikaner. Einer läuft vor auf die Mitte des Platzes und schießt in die Fenster. Kein Gegenschuß, der Trupp stürmt weiter. Sie haben keine Schweinsgesichter, wie ich erwarte vom “Feind”, sie sehen nomal aus. Kinder lernen schnell. Später bestaune ich ihre fetten Ärsche. Wir sind scharf auf ihre Kaugummies.” Man nimmt doch nichts vom Feind!” Die Großen wissen nicht immer, was gut schmeckt. Später kaufen wir andere Gummis, Blausiegel, blasen sie auf, halten sie vor den Hosenschlitz und lassen sie flitzen. Mädchen lassen sie uns besorgen. Wir wissen so ungefähr wofür. Die Amis haben für sie noch anderes übrig als Kaugummi und Schokolade.
Erst die Amis, dann die Russen. Lässige Schwarze am Steuer, noch nie gesehen, dann steife, unnahbare Mongolen mit echten Schlitzaugen, kannte ich nur aus dem Märchenbuch. Die russischen Soldaten singen vierstimmig beim Marschieren. Ich kannte bisher nur “Deutsche Panzer im Sonnenbrand…oder “Erika…”Sie riechen auch anders. Statt Kaugummis gibt es jetzt Wurststücke, auf dem Feuer im Vorgarten gebraten. Aus einem Sowjetpanzerdeckel in meinem Kriegsbilderbuch wirft eine gelbe Hand eine Granate. Diesen Farbton seh ich jetzt wieder. Hinter diesem Gitterzaun haben sie gesessen, in ockergelben Blusen und weiten Hosen, mit rasierten Köpfen und großen Händen. Die Soldaten werden nicht als Befreier begrüßt. Kein Jubeln, kein Klatschen, keine Blumen, nur bitteres Starren vor sich hin und aneinander vorbei.
Jörg Boström
Ausstellung “1914 | 2014 Krieg” vom 8.11.14 – 18.01.15 im Mindener Museum
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