Jörg Boström. Fotografie und Malerei.

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Text, Fotografien und Malerei: Jörg Boström

Fotografie und Malerei, sie haben sich jeweils verschiedenen Aufgaben der ästhetischen Aneignung der Wirklichkeit zugewandt. War im 19. Jahrhundert die Fotografie ein Anstoss, sich auch in der Malerei des Realismus und des Impressionismus von der idealisierenden und historisierenden Bildwelt ab – und der sichtbaren Gegenwart zuzuwenden, so konnte im Beginn des 20. Jahrhunderts die Malerei sich auf ihre eigenen, nun als autonom begriffenen Mittel zurückziehen über den Kubismus bis zum abstrakten Formenkanon etwa im schwarzen Quadrat auf weissem Feld des Russen Kasimir Malewitsch. Bei diesem Abtauchen der Malerei in den eigenen Materialbereich erklärt dann der Theoretiker Siegfried Kracauer der Fotografie ihre neue Aufgabe wie einer Dame des roten Kreuzes, eingesetzt zur “Rettung der physischen Realität”.
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wird besonders in Westdeutschland die Malerei zur Verwischung des Schreckens, zur Verdrängung der sichtbaren Schäden, zur seelischen Befreiung und zur Dekoration der neugebauten Umwelt eingesetzt, zum 50er Jahre Schmuck. Der Soziologe Arnold Gehlen propagiert die “Entlastungsfunktion der Kunst”. Wieder hat de Fotografie die undankbare Aufgabe, Sichtbares gestaltend und aggressiv wiederzugeben, an die Schadstellen und Fragwürdigkeiten der realen Existenz zu erinnern. Es ist dann eigentümlicherweise die Bildgestalt der Konsum- und Werbewelt, welche in der Pop Art dingliches und anatomisches Menschen- und Sachleben auf diesem Umweg in den 60er Jahren wieder in die Kunst zurücktransportiert. Von nun an wird die Medienwelt, insbesondere die Fotografie, zum selbstlosen Lieferanten von visuellen Daten für eine erneute künstlerische Aneignung der Wirklichkeit. Diese vor und um uns hängende Ausstellung und ihre Veranstalter machen dieses Wechselspiel zum Thema. Es scheint uns heute beinahe nicht mehr möglich, die visuelle Welt um uns zu erfassen und darzustellen, ohne das optische und technische Instrumentarium der Fotografie, des Films oder der Television. Wir benutzen heute die Medien bis hin zum Internet wie eine Brille, oder besser wie ein Fernrohr, um Realitäten zu erspähen.
In unseren von Bildern dicht wie durch eine Fototapete zugeklebten Horizonten gerät das Bewußtsein von Leben und Wirklichkeit in eine wahnhafte Verfassung. Das Totalerlebnis einer uns umstellenden Medienlandschaft läßt direkte visuelle Erfahrungen kaum noch zu. Der Zugriff auf Wirklichkeit wird umgelenkt in einen Zugriff auf Bilder. Eine Existenz ohne Medien- und Bilderwelten ist uns nicht möglich. Die fast unaufhebbare Verknüpfung von Lebensprozeß und Bildsteuerung -im Sinne von Gesteuertsein durch Bilder- läßt einen Zustand der direkten Lebenspraxis, einen bilderfreien und deshalb völlig realen Raum nicht mehr zu. Der Philosoph Vilém Flusser beschreibt das Problem sehr prägnant. “Der Mensch vergißt, daß er es war, der die Bilder erzeugte, um sich an ihnen in der Welt zu orientieren. Er kann sie nicht mehr entziffern und lebt von nun ab in Funktion seiner eigenen Bilder. Imagination ist in Halluzination umgeschlagen. Dieser scheinbar unsymbolische, objektive Charakter der technischen Bilder führt den Betrachter dazu, sie nicht als Bilder, sondern als Fenster anzusehen…Diese Kritiklosigkeit den technischen Bildern gegenüber muß sich als gefährlich herausstellen in einer Lage, wo die technischen Bilder daran sind, die Texte zu verdrängen. Gefährlich deshalb, weil die ‘Objektivität’ der technischen Bilder eine Täuschung ist.”
Die Bilder aus Fotografie und Malerei, die beide angeblich feindlichen Medien gehen immer wieder eine Liaison ein – eine illegitime, wenn mann dem Soziologen Pierre Bourdieu folgen will, welcher die Fotografie eine illegitime Kunst genannt hat. Aber ein solch sittenwidriges Verhältnis hat sich als ausserordebtlich fruchtbar erwiesen. Einige seiner Kinder sind hier zu sehen. Der Schriftsteller Artur Koestler hat behauptet, aller Fortschritt in Kunst und Wissenschaft sei durch “Bisoziation” zu erklären, also doch aus dem Zusammenwirken an sich verschiedener Bereiche. Nun haben sich Künstler seit der Renaissance optisch-technischer Hilfsmittel wie der camera obscura und anderer Geräte bedient, um der Welt des Sichtbaren möglichst nahe zu kommen, um Perspektive, Anatomie, architektonische Struktur möglichst genau zu erfassen. Gegen diese neue, als Konkurenz empfundene Technik haben sich sogar Maler, Künstler aus Paris zur Wehr gesetzt durch eine Eingabe an die französische Regierung, sie möge die Photographie als unlauteren Wettbewerb verbieten. Dominique Ingres gehörte zu diesen Rebellen wider den Zeitgeist, während auf der anderen Seite Eugène Delacroix einer der Gründungsmitglieder der ersten fotografischen Gesellschaft gehörte, der “Société Heliographique”. Dieses Wechselspiel von Bewunderung, Verwunderung und Ablehnung des Einbruchs von Technik, Optik und Chemie in die bisher handwerklich rein gehaltene Sphäre der Kunst treibt uns fort bis in die Gegenwart, bis hinein in den anscheinend geläuterten, legitimierten und daher spannungslosen Bereich der “Medienkunst”. Es gibt sie bis heute, die fotografischen Gesellschaften auf der einen und die Künstlerbünde auf der anderen Seite.

“Indem der Photograph die Natur im Lichtbild durch verwischte Konturen, verschwommene Linien wiedergibt, glaubt er, Maler geworden zu sein, der Pinsel und Leinwand mit Linse und Bromsilberplatte vertauscht und nun die ‘impressionistische Photographie’ schafft. … Es ringt sich .. die Erkenntnis durch, dass die Photographie in ganz hervorragendem Masse selbstschöpferisch sein kann, wenn sie sich ausschliesslich der Mittel bedient, die Ihr durch die eigene Technik gegeben sind”, schreibt 1928 im Berliner Tageblatt der Kritiker Werner Goldschmidt.
“Kunst”, sagte sein Zeitgenosse, der Künstler Paul Klee, “gibt nicht das Sichtbare wieder, Kunst macht sichtbar”. Also was? Was tun? Damals – Mitte der 20er Jahre, hatte in der Malerei der Kubismus seine Phasen durchlaufen, der Expressionismus sich verbraucht, die Dadabewegung ihre grimmigen Scherze von Zerstörung und absurder Konstruktion bis zum Überdruss getrieben. Der Surrealismus versuchte sich in den Ängsten und Lüsten der Traumtiefen. Die Kunst verlangte nach einer Atempause auf der einen, nach einem Abschwirren in surreale Traumwelten oder in das Pathos des politischen Engagements auf der anderen Seite.

Als Kunstpäpste wie Will Grohmann , Werner Haftmann in den deutschen Nachkriegswirren bis in die 60er Jahre hinein den Gegenstand in der Malerei nicht mehr für tragfähig erklärten, als die amerikanische Malerei mit dem abstrakten Expressionismus von Jackson Pollock, Sam Francis oder Mark Tobey die Dokumenta beherrschten, war zum Beispiel ein gegenständliches Malwerk wie das des amerikanischen Künstlers Edward Hopper längst ein moderner Klassiker in den USA, bei uns fast völlig unbekannt. In Deutschland musste noch die Pop Art mit ihrer dreisten Design Ausbeute aus London und New York über die heile Bilderwelt von Peinture, über die Form und Farbe hereinbrechen, bis ein so beharrlich auf die sichtbare Welt gerichteter Maler bei uns wahrgenommen werden konnte.
Es war in der Hochphase der abstrakten Malerei die Fotografie, der man die Bewahrung der Dingwelt im Bild noch zutraute. Porträts ? Nicht mehr möglich in der Malerei – man nehme die Fotografie, Landschaften – passée, nur noch in Fotobildbänden, Stadtansichten – etwas für die kommunale Selbstdarstellung, Stilleben – nur als stills in der Werbung tragbar, Szenenbilder – megaout. Den ganzen sichtbaren Schurrmurr überlassen wir den Niederungen der Vulgärkultur und dem sozialistischen Realismus. Hohe Kunst stellt nicht das Sichtbare dar, nach einem mißverstandenen Satz von Paul Klee, sie macht sichtbar. – aber was?
Zur Errettung der physischen Realität sah bereits in den 30ern Siegfried Kracauer nur noch die Fotografie, insbesondere aber den Film aufgerufen. Hier bietet sich an der neue Zugang und das neue Mißverständnis: die Errettung der physischen Realität nicht mehr nur durch die Fotografie allein sondern durch die wechselseitige Legitimation der Fotografie und der Malerei. Das fotografische Sehen prägte auch die Malerei vom ersten Moment ihres Auftritts, im Impressionismus die Bedeutsamkeit des Zufälligen, die Ausschnitthaftigkeit des Lebens und des Bildes und die Faszination der Bewegungen des Lichts auf Wänden Körpern, Flächen, die Entdeckung der nächtlichen Beleuchtung der Städte und der Bühne, im Realismus die Monumentalität des Alltäglichen. Die Kunst hat es mit dem Sichtbaren zu tun, diese Ansicht Gustave Courbets spiegelt sich sowohl in der Malerei wie in der Fotografie “Ich bringe die Steine zum Denken,” behauptet Courbet. Mit Fotografie verbundene Bilder werden die Eigenschaften der Medien selbst zur Bildsprache bringen. Etwas “Gebrauchsgrafisches” haftet solchen Bildern immer an und gibt ihnen die Kälte und kommerzielle Direktheit, welche ästhetische Entdeckungen der Vulgärkultur durch die Pop Art ebenso aufnimmt wie sie sich von ihr distanziert. Die Welt des Sichtbaren erscheint uns heute – ohne dass die meisten von uns es sich bewusst machen, gefiltert durch ein visuelles Medium, meist der Fotografie. Wir sehen die Dinge erst, nachdem sie fotografiert sind. Wir erkennen die Wirklichkeit gewissermassen wieder. Das Foto selbst gewinnt eine grössere Bedeutung als die unmittelbare Erfahrung des Sehens. Es bleibt zu fragen, ob uns eine direkte, nicht medienvermittelte Sicht auf die Dinge überhaupt noch möglich ist. Der Medienphilosoph Marshal McLuhan bringt zur Verdeutlichung den Dialog mit einer Mutter. “Was haben Sie für ein hübsches Kind.” – “Das ist noch garnichts – sie müssten erst mal sein Foto sehen.” Auch die Malerei, die sich heute mit der gegenständlichen Welt beschäftigt, kommt offenbar an dieser Medienvermittlung nicht mehr vorbei. Es gibt ihn nicht mehr, den naiven, ungesteuerten Blick auf den Menschen, die Dinge, die Landschaft. Im besten Falle setzt sich solche Malerei mit dem Medienproblem selbst genau so wie mit dem durch sie vermittelten Gegenstand auseinander. Gerhard Richter beschreibt das Dilemma an einem einfachen Beispiel: “Ich habe auch versucht, Blumen zu malen, scheiterte auch. Eigentlich müsste ich es wissen, dass es mir fast nie galang, ein Foto für ein Bild zu machen. Ein Foto macht man für ein Foto und wenn man Glück hat, entdeckt man es später für ein Bild.” Dieser Vorgang des Entdeckens von Bildern nicht in der äusseren Erscheinungswelt sondern in den Fotografien kennzeichnet den künstlerischen Umgang mit der Wirklichkeit.
Die Bilder entwickeln sich aus Bildern. Dies war schon so vor der Entdeckung der Fotografie. Aber damals war es immer eine Reaktion auf Malerei, weiterentwickelnd oder widerlegend, opponnierend. Bei der gegenständlichen Malerei unserer Zeit verarbeitet, bearbeitet, übersetzt, maskiert und demaskiert der Maler die Vorlagen der Medienwelt. Seht hin und macht euch ein Bild, euer Bild. Es ist dies auch zu einem nicht geringen Teil die ästhetische Aneignung der medienvermittelten Welt, aus deren Bilderknast wir nicht ausbrechen können, wohl aber bemalen können wir diese Gefängniswände. Die Wechselwirkung von Fotografie und Malerei ist in einigen neueren Publikationen dargestellt – zuletzt auch im Werk eines Künstlers, wo man es am wenigsten vermuten sollte, bei Picasso. Die Wechselwirkung eben. Vielfach weisen diese Darstellungen in eine Richtung: wie hat die Malerei die Anregungen durch die Fotografie verarbeitet. Die umgekehrte Blickrichtung würde sich nun anbieten. Hier besteht vielleicht noch eine Forschungslücke. Erst in der letzten Zeit sind fotografische Arbeiten auch von impressionistischen Malern wie Degas bekannt geworden. Noch immer haftet der Verwendung fotografischer Studien in der Malerei der Ruch des Kopierens an, so daß vieles an Material anders als bei zeichnerischen Skizzen nicht in das Werk einbezogen wird. Der direkte Einfluß fotografischer Optik auf die Bildgestaltung der Malerei des Realismus in der Moderne ist in vielen Fällen mit großer Verspätung nachgewiesen. Ein solcher Austausch und Abtausch von Wirkungsmöglichkeiten und Chancen von Malerei und Fotografie in ihrer Wechselwirkung wird trotz des Anspruchs, den die Ausstellung auch durch ihren Titel stellt, erst zur Diskussion gestellt. Die impressionistische Malerei z. B. hatte die “fotografische” Optik der Ausschnitte, der Schärfe-Unschärfe Beziehungen, des pigmentierten, pointilierten – heute würden wir sagen pixelhaften Farbaufbaus lange vorgelebt, bevor Fotografie und Fernsehn sie ästhetisch umsetzten. Die jeweils zeitgleiche Fotografie hinkte über weite Strecken ihrerseits der vergangenen Malerei in Pose, Bildaufbau und Ausdruck hinterher.
Gelegentlich gerät die unterschiedliche Wirkungsweise der beiden Künste im Vergleich zum Nachteil der Fotografie. Strahlen die rauhen, materialintensiven, körperhaften , durch die Handschrift subjektiv suggestiven Farbflächen der Malerei auf den Betrachter ein wie farbiges Licht und drängen ihn in eine respektvolle Distanz, so saugen ihn die glatten, technisch anonymen Flächen der Fotografien in sich auf, wenn der Blick nicht bereits vorher an ihnen abgleitet.

Die Welt wird undurchschaubar, sie verwandelt sich in grafische Flächen von subjektiver Leuchtkraft. Wer immer versucht, hinter die Ursprünge der fotografischen Realitätsausschnitte zu gelangen, findet sich im Trancezustand der eigenen Halluzinationen wieder. Was nun einmal da ist, reicht nicht aus. Die Fotografie bestätigt unsere Gefangenschaft in den visuellen Grenzen, unsere Existenz im Bilderknast. Sie kratzt zugleich an den Wänden, untersucht ihre Struktur, beobachtet die Schattenspiele an der Höhlenwand und verweist auf eine Existenz hinter den Mauern. In diesem Sinne gibt die Schönheit der Bilder Ahnung von Transzendenz. Es gibt eine Wirklichkeit jenseits der Wahrnehmung, jenseits der physischen Erkenntnis, jenseits der Form auf der dünnen fotografischen Fläche.  Ausschnitt des kämpferischen Dialogs zwischen den Medien, des Dialogs zwischen verschwimmender, immer unsicherer werdender Realitätserfahrung, die nur noch durch Medien vermittelbar erscheint und der noch immer autonomen Welt der Bilder, die sich an der Widerspiegelung von Erinerungs- und Gegenwartsfragmenten ihrer eigenen Wirklichkeit vergewissert.

 

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