Text: Hartwig Reinboth
Fotografien: Alfred Loschen
Der Titel irritiert im ersten Moment. Heißt es nicht Licht und Schatten? Vom physikalischen Standpunkt wäre das aber, wie man weiß, eigentlich irrelevant, denn nach der schönen Formulierung von Johannes Itten, dem Bauhaus-Lehrer mit Schule machender Farblehre, sind die Farben ja “Kinder des Lichts”, prosaischer gesagt: Fraktionen des weißen Lichts, also selbst auch Licht.
Die Impressionistischen Maler waren es, die auch den Schatten als lichthaltig und farbenträchtig erkannt und vor Augen geführt haben; bei Monet findet man in den Schattenpartien einen unglaublichen, funkelnden Farbenreichtum, aber, zugegeben, hier hat die Imagination vielleicht doch zuweilen die inneren Farbregler etwas über die tatsächliche Wahrnehmung hinausgetrieben. Obgleich: wenn man lange genug ins Licht oder auch ins Dunkle starrt, kann man erleben, wie das Auge selbst Farbsensationen produziert, die “objektiv” gar nicht gegeben sind.
Der Titel unserer Ausstellung legt in seiner Beziehung zum Gegensatzpaar Licht und Schatten eine Polarität zugrunde, die also angefragt werden kann. Es gibt leidenschaftliche “Verabsolutierer” des einen Pols: der Farbe. Wer vor Barnett Newman’s “Who’s affraid of Red Yellow and Blue” gestanden hat, dieser überwältigenden Überflutung des Sehfelds mit intensivster Farbfeldmalerei, oder im Yves-Klein-Blau versunken ist, der kennt diese Hinwendung zum reinen Farberlebnis. Das kann so intensiv werden, dass man als Betrachter sozusagen den Boden unter den Füßen verliert und in einen Schwebezustand gerät, in dem die Materialität, an die die Malfarbe ja gebunden ist, aufgehoben scheint. So erlebt es erst recht, wer in die Lichtkabine von James Turrell im Sprengelmuseum in Hannover eintritt: dort ist man dann umhüllt von reinem farbigem Licht, ohne dass die Augen noch einen dinglichen Halt oder eine Grenze finden können.
Aber auch der Gegenpol ist schon verabsolutiert und vom farbigen Kosmos abgekoppelt worden. Hier fällt es womöglich nicht ganz so leicht, mit gleichem Enthusiasmus auf entsprechende Werke und Seherlebnisse zu verweisen. Das “Schwarze Quadrat” von Malewitsch, die schwarzen Bilder aus der minimalistischen Zeit von Frank Stella, die schwarze, vollkommen lichtdichte Kammer von James Turrell, ebenfalls in Hannover zu erleben, haben ja etwas von Strenge, asketischer Versagung und intellektueller Prüfung des Betrachters, ob er der Verschlossenheit standhält und – auf sich selbst zurückgeworfen – die Fremdheit der Schwärze aushält.
Der Titel dieser Ausstellung und die dazu gegebenen Erläuterungen im Ausschreibungstext für die Bewerber haben diese Möglichkeit der Absolutsetzung von Farbe oder Nicht-Farbe bewusst ausgeschlossen (womit aber keine grundsätzliche Ablehnung verbunden ist). Die Beiträge können mithin formal Farbe und Schatten im Sinne des Kontinuums von Farbmodulationen zwischen Licht und Dunkel auffassen – mit prinzipiell unendlichen Abstufungen von Farbtonwerten und Helligkeitswerten. Oder aber sie können damit im Sinne polarer Entgegensetzung umgehen. Diese formalen Aspekte des Themas sind jedoch keine auf das rein Ästhetische festgelegten Kategorien, sie rufen zugleich mehr oder minder stark ausgeprägte inhaltliche Vorstellungen hervor. Das Ins-Licht-Treten oder das Im-Schatten-Stehen, die Üppigkeit vor dunklem Grund – oder aber die Nuancierung und Differenzierung der Erscheinungen, das Miteinander-Verwobensein der Dinge – all dies lässt sich natürlich auch mit unterschiedlichen Existenzerfahrungen verbinden: individuell, politisch oder gesellschaftlich.
In der Ausstellung finden wir beides: Arbeiten, die sich der Farbe eher “phänomenologisch” zuwenden, ohne Verknüpfung mit einem gegenständlich vermittelten Gehalt – und Arbeiten, die von einem starken inhaltlichen Impuls motiviert sind, von dem her die Farbe als Ausdrucksträger bestimmt ist. Aber auch die abstrakten Arbeiten sind angelegt auf emotionale Resonanzen, vielleicht sogar gegenständliche Assoziationen, und die gegenständlichen Arbeiten beziehen ihre Ausdruckskraft und inhaltliche Tönung eben von der Farbe her, von ihrer unmittelbaren, vorbegrifflichen Wirkung auf den Betrachter.
Ich möchte im Folgenden jede Arbeit kurz vorstellen, tatsächlich nur kurz, denn die Zahl der Beteiligten erlaubt an dieser Stelle nicht mehr. Hinweise, die die Beteiligten selbst notiert haben, finden Sie im Katalog zur Ausstellung.
Hans-Joachim Bölling führt uns mit seinem Video zum Ursprung des Themas zurück, zum Licht, das sich hier als geheimnisvolle Erscheinung vor dunklem Grund ereignet: Es bewegt sich, verändert seine grafische Struktur, strahlt auf, bildet Ränder, überlagert sich. Es entstehen ganz zarte, kaum wahrnehmbare farbige Regenbogenfelder. Ein faszinierendes Schauspiel, das für Hans-Joachim Bölling eine Metapher für das Sein überhaupt darstellt.
Jörg Boström beobachtet die Passanten in der Altstadt von Minden. Aber er betreibt keine psychologischen Studien, sondern studiert einfach ihre Bewegungen im architektonischen Umfeld der Stadt. Mindestens ebenso wie die realen Körper interessieren ihn dabei die Körperprojektionen, die das Sonnenlicht auf das Pflaster malt. Ab und zu hebt er die Kamera vors Auge und hält einen Moment, eine bestimmte Konstellation fest. Diese Aufnahme transformiert er in Malerei. Dabei wird Unwesentliches ausgefiltert und Anderes wird stärker akzentuiert. Nicht selten sind gerade die Schatten die markantesten Akzente im Bild. Das widerspricht vielleicht ihrer Flüchtigkeit, nicht aber ihrer visuellen Präsenz im Seherlebnis. An den Schattenrändern bilden sich oft Farbsäume. Für den eigenwilligen Farbtheoretiker Goethe waren diese Farbsäume der Schlüssel zum Verständnis der Farben, ihrer Herkunft aus der Begegnung von Licht und Dunkel.
Ursula Gebert hat ein Kleid – nein, nicht geschneidert, sondern geschnitten. Es hat die Form eines Kreuzes ohne Kopfteil, wie ein T. Diese gekappte Kreuzform korrespondiert mit dem aufwühlenden inhaltlichen Bezug der Arbeit auf Krieg und Vertreibung, auf Schrecken und Angst. Die roten Erinnerungsspuren und die dunklen Überlagerungen bewirken Assoziationen von Blut und Asche. Das Kleid steht stellvertretend für die Trägerinnen, es visualisiert in Form von grafischen Strukturen, was sie zu tragen haben. Aber: das Kleid ist nicht zerrissen.
Andreas Jackstien gibt außer dem Titel zwischen raum nur einen kurzen verbalen Kommentar zu seinem Bild: Milieustudie. Eine Frau auf einem Stuhl zwischen zwei Wänden, hinten rechts vielleicht eine Tür. Am Boden auf der einen Seite eine abgestellte Tasche mit Mobiltelefon, auf der anderen Seite eine Wasserflasche. Banale Alltäglichkeit. Ein Moment des Wartens. Ein räumlicher und auch zeitlicher Zwischenraum, kein Ort längeren Verweilens. Die Alltäglichkeit des Eindrucks wird – grafisch wortwörtlich – durchkreuzt durch die Schraffur-Überlagerungen im oberen Bildteil, die eine Verschattung des Kopfes der Frau bewirken. Ihre Persönlichkeit wird unkenntlich. Bedeutet die Verschattung eine Verdüsterung ihrer Gemütslage oder sogar eine Art Auflösung ihrer Persönlichkeit? Oder ist die Schraffur nur ganz allgemein der Ausdruck für die Grunddistanz zwischen Menschen, die Unmöglichkeit, jemanden visuell wirklich zu ergründen?
Manuela Johne-Sander hat eine zweiteilige Arbeit erstellt, die kleinformatig auf bedeutend größere Zusammenhänge verweist. Dem Titel Leerstand folgend lassen die grafisch aufgebrachten bläulichen Quadrate an Häuserfronten denken. Oder an leere Räume. Die dahinter liegenden grafischen und malerischen Strukturen erinnern an Verwitterungen, Verkratzungen. Dadurch wird eine zeitliche Perspektive angesprochen: die Vergangenheit kommt ans Licht, die Zukunft liegt noch im Schatten.
Ulrich Kügler präsentiert zwei Bilder, die sich auf dasselbe Ereignis, präziser auf dasselbe dokumentarische Pressefoto dieses Ereignisses, beziehen: die Überflutung der japanischen Stadt Sendai durch den katastrophalen Tsunami des Jahres 2011. Die malerische Schönheit und die Erhabenheit der Überblick-Perspektive des großformatigen Gemäldes bringen erst allmählich den immanenten Schrecken der Szenerie zum Bewusstsein. Dieses langsame, allmähliche Verstehen des Betrachters korreliert mit der Langsamkeit des Malprozesses, der sich vom schnellen Aufnehmen (und wieder Fallenlassen) der Wahrnehmung von Nachrichtenbildern fundamental unterscheidet. In der kleineren Variante des Gemäldes wird der Blick auf das Hauptmotiv der Fotografie fokussiert; diesmal aber ist die Farbigkeit noch stärker reduziert, der Sensationsblick wird verweigert. Man erfährt in den Bildern nicht nur die dokumentarische Wiedergabe des Ereignisses, sondern vor allem die Transformation des äußeren Wahrnehmungsbildes in ein inneres Gedächtnisbild.
Friedgund Lapp präsentiert ein kleines Objekt, das durch seine intensive Farbigkeit ins Auge springt. Die mit Stoff und anderen Materialien umwickelten, ineinander geschlungenen Drähte erinnern ein wenig Freundschaftsbänder und Hippie-Schmuck, und diese Assoziation trifft etwas Richtiges: Auch in diesem Fall transportieren die Stoffstücke und die improvisierte Art ihrer Zusammenfügung über die Unbekümmertheit und Farbenfreudigkeit hinaus eine verborgene Botschaft. Die Farben, Musterungen und Materialeigenschaften repräsentieren Erinnerungen, vielleicht ganze Lebensabschnitte, gute oder nicht so gute Erfahrungen, leuchtende Höhepunkte und verblassende Reminiszenzen. Der Betrachter kann die Abfolge, aber auch die Verschlingung und Vermischung solcher Erinnerungsrepräsentanten auf eigene Gedächtnisgehalte beziehen.
Dietmar Lehmann akzentuiert den Raum mit seiner Bodeninstallation auf prägnante Weise. Er nötigt den Betrachter zur Umrundung und zur Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln. Dadurch erfährt der Betrachter, dass sich das visuelle Feld bei der Betrachtung permanent verändert. Abhängig von der räumlichen Umgebung, von den Lichtquellen, vom jeweiligen Standpunkt des Betrachters ändern sich die Reflexionen des Lichts und der Farben in der Installation. So ordnet sich Dietmar Lehmanns Arbeit in gewisser Weise auch dem Raum unter. Es ist ein Geben und Nehmen. Innerhalb des Glassplitterfeldes sind farbige Textilien angeordnet. Auch sie gehen Wechselwirkungen mit ihrer unmittelbaren Umgebung ein: Die Splitter reflektieren die Farben der Stoffe, die Stoffstücke unterbrechen die einander überlagernden Reflexionen und geben dem Auge Haltepunkte. Am Ende kann der Betrachter seine Umgebung vergessen und visuell ganz eintauchen in den Glaslichtraum.
Gabriele Lehmann hat auch den dreidimensionalen Raum als Farb- und Erlebnisraum zum Thema gemacht. Allerdings muss der Betrachter sein Auge ganz nah an die Raumkästen bringen, dann kann er durch einen Spalt drei verschiedene Sagen- und Märchenszenerien erschauen. Ein Blick durch den Türspalt zurück in die kindliche Vorstellungs- und Erlebniswelt, jeweils verknüpft mit einer charakteristischen, leitmotivischen Farbigkeit.
Martin Obst hat ein Foto-Objekt erstellt: ein Flechtwerk aus ca. 80 Fotos. Das Objekt hat eine feste Struktur in der Mitte, zu den Rändern fasert es aus. Man sieht das Gebilde zunächst in dieser objekthaften Weise, auf den zweiten Blick erkennt man die mosaikartige Anordnung von kleinen Fotofragmenten, die teilweise noch Rückschlüsse auf den Kontext zulassen. Dass es sich um Fotos von einem dreiwöchigen Romaufenthalt handelt, ist ohne diese Hintergrundinformation schwer zu erschließen, wohl aber, dass es sich um die verdichtende Verarbeitung von Gesehenem handelt, die einerseits noch Hinweise auf dieses Gesehene enthält, andererseits schon zu etwas Eigenständigen, davon Unterschiedenem geworden ist. “Für mich ist dies eine Metapher für den Prozesses des Erinnerns. Bilder, Farben, Orte werden immer wieder neu verwoben zu einem Feld.”, sagt Martin Obst selbst zu seiner Arbeit.
Birgit Oldenburgs Gemälde erscheint zunächst wie eine Reflexion über Malerei: ein expressiv gemaltes Gesicht vor einer rein abstrakten Malerei, die an das action painting von Jackson Pollock erinnert. Aber eigentlich handelt es sich um einander ergänzende Bildbereiche, die mit unterschiedlichen stilistischen Mitteln eine gemeinsame Aussage tragen: die Gefühlslage des vom Krieg Bedrängten, des Flüchtlings. Die Hintergrundmalerei setzt fort, was sich auf dem Gesicht im Vordergrund schon zeigt: die Buntfarbigkeit als Ausdruck der Lebensenergie und Hoffnung, die schwärzlichen Farbtöne als Ausdruck der Bedrohung und Zerstörung. Die Bewegungsspuren vor allem im Hintergrund zeigen an, dass hier noch nichts zur Ruhe gekommen ist: nicht zur Friedhofsruhe endgültiger Zerstörung, aber auch nicht zur Beruhigung des Angekommenseins.
Birgit Rehsies hat eine Fotografie aufgenommen, deren ruhige Wirkung täuscht. Das poetische Spiel von Licht und Schatten auf dem Boden des gezeigten Innenraums und der landschaftlich-sonnige Ausblick aus den Fenstern erzeugen eine friedvolle Stimmung, fast ein Idyll. Der Titel und die Hintergrundinformation durchbrechen diese angenehme Einstimmung: Die Bauten des Olympischen Dorfes von 1936, die unter der Tarnung friedlicher Wettkämpfe schon als künftige Kasernen den Krieg mit vorbereiten sollten, zeigen sich hier im Bild zwar architektonisch unverdächtig, aber sie sind doch unabweisbar eingebunden in den ganzen dunklen Komplex der NS-Ideologie. Warum sind die Schatten schwarz?, fragt der Titel der Arbeit.
Lieselotte Scherer hat in ihrem Aquarell biografische Bezugspunkte aufgerufen, indem sie ein Kindheitsfoto zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit gewählt hat. Der Schatten als Signal für Bedrängnis, hier die vielfach bedrängende Situation der unmittelbaren Nachkriegszeit, bringt in der Konfrontation mit der ins Bild eingebrachten Selbstdarstellung als Kind unweigerlich eine Fülle beklemmender Vorstellungen ins Spiel. Diese will Lieselotte Scherer aber nicht nur als Reflexion der Vergangenheit verstanden wissen, sondern zugleich als mahnenden Verweis auf die gegenwärtigen Gefährdungen – gerade auch von Kindern.
Die beiden Materialbilder von Hannes Senf sind ganz dem Begegnungsfeld von Materialität und Farbigkeit gewidmet. In gewissem Sinne ist dies die Zusammenführung von Gegensätzen: das Material in seiner betastbaren, unverrückbaren Festigkeit begegnet der immateriellen Schwingung der Farben. Farbe ist keine Materialeigenschaft, doch hier scheint eine Verschmelzung stattgefunden zu haben, die uns aber im alltäglichen Umgang so vertraut ist, das wir nicht weiter darüber nach-denken: die Dinge haben eben ihre Farbe. So auch hier: es sind rote und grüne Holzspäne, die die Bildfläche ausfüllen. Aber die Zusammenstellung der beiden Bildtafeln widerlegt diese alltägliche Anschauung zugleich auf hintersinnige Weise: Es sind Holzspäne und die Farbe hat sich auf sie gelegt. Sie sind dadurch jetzt rot oder grün, aber sie könnten auch blau oder violett oder gelb sein. Und dennoch: loslösen können wir die Farbe von den Holzspänen nur noch in Gedanken. So wie sie uns in der Wahrnehmung gegenübertreten überzeugen sie uns – gegen unser besseres Wissen: ja, Farbe und Späne sind doch ganz eins geworden.
Das großformatige Gemälde von Bernhard Sprute erscheint auf den ersten Blick als abstrakte, fast monochrome Malerei. Recht bald stellt sich aber – ungeachtet des reliefhaften Farbauftrags – eine gewisse Tiefenwirkung ein und dann entdeckt man auch schon, dass es sich um ein landschaftliches Motiv handelt. Sobald man die Windmühle entdeckt hat, wird einem die Verbindung zur niederländischen Landschaftsmalerei klar (auch wenn wir hier im Mühlenkreis leben). Die gegenständliche Genauigkeit, die der Maler Jacob van Ruisdael im 17. Jahrhundert eingesetzt hat – und ebenso seine ausdifferenzierte naturalistische Farbigkeit – sind hier transferiert in grafische Bewegungsspuren, pastose Materialität, aber auch äußerst dünnflüssige Lasuren und in eine reduzierte, entrückt wirkende Farbigkeit. Zugleich kommt dem Betrachter das Bild aber auch sehr viel näher als das klassische Landschaftsbild. Der Blick in die Ferne, hin zum Horizont, wird hier von der großen Malfläche, die ja dinglich spürbar ist, angehalten und zum Wandern über die real gegebene Fläche animiert. Das Bild wird zu einem Erlebnisfeld, bei dem die Entschlüsselung des Landschaftlichen immer wieder aufgegeben wird zugunsten einer Wahrnehmung der grafischen und malerischen Impulse und Reize, die auch unabhängig von den gegenständlichen Bezügen ihre Wirkung entfalten.
Auf Magret Thimms nicht betitelten Gemälde wird der Blick des Betrachters gleich an der vordersten Malschicht aufgehalten. Wie ein verhüllendes Tuch legt sich diese Malschicht vor fast alle anderen malerischen Setzungen des Bildes, allerdings ein dünnes Tuch, das durchscheinen lässt, was es verbirgt. Aber auch bei den dann noch sichtbaren Teilen kann man nicht sicher sein, ob sie sich sozusagen selbst präsentieren oder nur anderes, noch dahinterliegendes verdecken sollen. Doch bei den kleinteiligen rosafarbenen, senfgelben und weißen Akzentsetzungen ist man sicher, dass sie unbedingt auf den Betrachter zustreben. Sie schauen an den anderen Flächen vorbei, aus der Bildfläche heraus, wollen wahrgenommen werden. Der bläuliche Farbschleier an der Oberfläche wird von Magret Thimm kritisch konnotiert: ein Hinweis auf Nichtbeachtung, Nicht-Hinsehen-Wollen, Verdrängung. Aber die kleinen, farbkräftigen Akzente erweisen sich als ebenbürtig, vielleicht sogar stärker. Man schaut das Bild zuletzt vielleicht nur noch ihretwegen an.
Wenn man jede einzelne Arbeit so betrachtet hat, stellt sich am Ende erneut die Frage, ob es denn das Verbindende, das der Ausstellungstitel verheißt und das die Auswahl bestimmen sollte, tatsächlich gibt. Oder sind die künstlerischen Zugänge, Konzepte und Temperamente nicht doch zu individuell für so eine thematische Klammer? Wahrscheinlich gibt es gute Argumente für ein Nein und ein Ja.
Ich mache trotzdem den Versuch einer zusammenfassenden Schlussbemerkung: Wir sehen in dieser Ausstellung Prachtentfaltung des Lichtes im Spektrum der Farben und Herabstimmung der Farbpracht in der Verschattung – und wir sehen Schattenseiten der Existenz, ins Licht gehoben durch die Kraft der Farben.