Text: Annette Bültmann
„fümmsböwötääzääUu pögiff kwiiEe“ liess Kurt Schwitters 1923 verlauten, aber bereits 1916 hatten Hugo Ball, Emily Hennings, Richard Huelsenbeck, Tristan Tzara, Hans Arp, Sophie Taeuber und andere in Zürich das Lautgedicht auf die Bühne des Lokals „Cabaret Voltaire“ gebracht. Dieses Lokal war gleichzeitig Künstlerkneipe, Galerie und Theater.
März 1916: Hans Arp „empfiehlt die Planimetrie gegen die gemalten Weltauf- und -untergänge.“ (aus: Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit) Dada-Künstler, teilweise vor den Kriegsgeschehnissen des 1. Weltkriegs nach Zürich geflüchtet, setzen an zur Revolutionierung der Bilder, der Gedichte, und auch die Fotografie bleibt nicht verschont von Experimenten, z.B. in Form von Fotogramm und Cliché Verre. Alltagsobjekte wurden zu Readymades, wie Marcel Duchamps Fahrrad-Rad, Flaschentrockner und Fountain.
Später wurden sie als Objet trouvé auch umgestaltet wie Meret Opppenheims Tasse „Frühstück im Pelz“. Collagen und Fotomontagen spielten eine grosse Rolle im Dadaismus, auch dreidimensionale Objekte konnten collagenartig zusammengefügt werden, wie der „Merzbau“ im Atelier von Kurt Schwitters.
Der Dadaismus zeichnete sich einerseits durch Spontanität, Irrationalität und exzentrische Performances aus, durch Spiel mit Absurdität und Unsinn, andererseits gab es auch das konstruktivistische Element, den Willen sozusagen Form aus dem Chaos zu erschaffen, und die Suche nach elementarer Kunst, die auch ungegenständlich sein konnte.
So kam es auch zeitweise zu einer Zusammenarbeit von Dadaisten und Bauhäuslern, wie beim internationalen Kongress der Konstruktivisten und Dadaisten in Weimar im September 1922.
Der Dadaismus brachte auch eine Form von Interesse an mechanischen Elementen hervor. So gibt es von Marcel Duchamp nicht nur ein Glasbild „Die Junggesellenmaschine“ sondern auch z.B. eine rotierende Halbkugel, die optische Effekte produziert, er beschäftigt sich mit der Maßeinheit Meter in der Arbeit 3 Stoppages étalon (3 Kunststopf-Normalmaße), und malte den Mechanismus einer Kaffeemühle. Auch sein Gemälde „Akt, eine Treppe herabsteigend“ wird manchmal als mechanomorph bezeichnet.
Auch Francis Picabia enwickelte einen mechanomorphen Stil. So ist z.B. in dem Bild “Ici, c’est ici Stieglitz” von 1915 der New Yorker Galerist Alfred Stieglitz als Kamera, kombiniert mit Schalthebel und Bremse eines Autos, dargestellt. Stieglitz betrieb an der New Yorker Fifth Avenue die Galerie “291”, wo in Zusammenarbeit mit dem zeitweise in Paris lebenden Maler und Fotografen Edward Steichen Künstler der europäischen Moderne und fotografische Arbeiten der von Stieglitz und Steichen gegründeten “Photo-Secession” gezeigt wurden. Im Jahr 1915 gründete Alfred Stieglitz, Marius de Zayas und Francis Picabia mit der Unterstützung weiterer Autoren und Fotografen die Zeitschrift “291”.
Während in New York die Galerie 291 ein Treffpunkt der Dada-Szene war, gab es in Paris ein legendäres Café “Certâ”, in der Passage de l’Opéra, die zwei Pariser Boulevards miteinander verbindet.
Dada Berlin: der aus Zürich zurückgekehrte Richard Huelsenbeck trug 1918 anlässlich der Gründung des “Club Dada” ein dadaistisches Manifest vor. George Grosz und John Heartfield, Hannah Höch, Raoul Hausmann, Johannes Baader, und weitere Künstler schlossen sich der Bewegung an. Sie bevorzugten als Techniken die Collage und Fotomontage. In Berlin fand 1920 die Erste Internationale Dada-Messe statt.
Dada Köln: Max Ernst, Johannes Theodor Baargeld, der später nach Berlin ging, und Hans Arp, der 1019 von Zürich nach Köln gezogen war, begründeten den Kölner Dada.
In Hannover trat Kurt Schwitters mit Lautgedichten wie der Ursonate, Vorträgen, Dichtkunst, Collagen, einer Zeitschrift namens “Merz” und einem “Merzbau” der sich vom Atelier aus irgendwann über mehrere Räume der Wohnung erstreckte, auf vielen Gebieten der Kunst gleichzeitig an.
Der Dadaismus kann unter anderem als Reaktion auf den Irrsinn des 1. Weltkriegs und die Verwirrungen der darauf folgenden Nachkriegszeit betrachtet werden. Die Dada-Bewegung richtete sich gegen den Militarismus und reagierte mit Collagen, Plakaten. Zeitungen, Plastiken und grotesken Performances auf die durch den Krieg aus den Fugen geratenen Welt. Nach der 1. Internationalen Dada-Messe in Berlin 1921 kam es zu einem Prozess wegen Beleidigung der Reichswehr. Kurt Tucholsky schrieb über George Grosz: “Seine Mappe Gott mit uns sollte auf keinem bürgerlichen Familientisch fehlen – seine Fratzen der Majore und Sergeanten sind infernalischer Wirklichkeitsspuk.”
John Heartfield, eigentlich Helmut Herzfelde, übersetze seinen Namen ins Englische aus Protest gegen den deutschen Militarismus. Grosz und Heartfield hatten 1916 die Fotomontage erfunden in Form von Feldpostkarten, die Fotos von Kriegshelden mit Werbegrafiken und Spruchbändern zu militarismuskritischen Collagen kombinierten.
Auch Hannah Höch und Raoul Hausmann arbeiteten mit dem Mittel der Fotomontage, und verwendeten teilweise Soldatenbilder, Schriftzeilen aus Zeitschriften, Fotos von mechanischen Teilen, dadaistische Parolen wie “Dada siegt!”, aber auch Texte aus der Werbung wie “Gegen feuchte Füße” in Kombination mit einer Abbildung von Militärstiefeln, und aus Zeitschriften ausgeschnittene menschliche Figuren, teilweise mit ausgetauschten Köpfen. Auch die Übergangszeit vom Kaiserreich zur Weimarer Republik wurde zum Thema der Collagen, und bei Hannah Höch wird auch teils spöttisch die “Neue Frau” betrachtet, auch ein Thema der damaligen Zeit, ein Begriff der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Zusammenhang mit der Suffragetten-Bewegung aufkam. In Deutschland wurde das Frauenwahlrecht im Verlauf der Dada-Ära, im November 2018 eingeführt.
Der Dadaismus wandte sich sowohl gegen den Militarismus, als auch gegen die bürgerliche Kultur, und setze sich, zwischen Sinn und Unsinn pendelnd, teils provokant teils spielerisch mit der damaligen Zeit auseinander.
Er hatte aber auch einen Einfluss auf spätere Kulturphänomene wie Fluxus Installationen und Performances, und macht sich auch heute noch manchmal bemerkbar z.B. in der Mail Art und der Street Art.
Der Dadaismus verbreitete sich von New York und Zürich aus über Europa und die USA. Oder sollte man besser sagen, er wurde verbreitet? Ist Dada ein Virus, oder ein Heilmittel, oder wurde Dada wie das Evangelium verkündet?
Kurt Schwitters schreib anlässlich der Ankunft von Dada in Holland: Ganz Holland ist jetzt dada, weil es immer schon dada war.
An einigen Orten wurden Dada Manifeste verlesen, wie von Hugo Ball 1918 in Zürich.
Zitat:
“Die Unterzeichner dieses Manifestes haben sich unter dem Streitruf
DADA!!!!
zur Propaganda einer Kunst gesammelt, von der sie die Verwirklichung neuer Ideale erwarten. Was ist nun der DADAISMUS?
Das Wort Dada symbolisiert das primitivste Verhältnis zur umgebenden Wirklichkeit, mit dem Dadaismus tritt eine neue Realität in ihre Rechte. Das Leben erscheint als ein simultanes Gewirr von Geräuschen, Farben und geistigen Rhythmen, das in die dadaistische Kunst unbeirrt mit allen sensationellen Schreien und Fiebern seiner verwegenen Alltagspsyche und in seiner gesamten brutalen Realität übernommen wird. Hier ist der scharf markierte Scheideweg, der den Dadaismus von allen bisherigen Kunstrichtungen und vor allem von dem FUTURISMUS trennt, den kürzlich Schwachköpfe als eine neue Auflage impressionistischer Realisierung aufgefaßt haben. Der Dadaismus steht zum erstenmal dem Leben nicht mehr ästhetisch gegenüber, indem er alle Schlagworte von Ethik, Kultur und Innerlichkeit, die nur Mäntel für schwache Muskeln sind, in seine Bestandteile zerfetzt.”
Aber nicht nur in Manifesten äußerte sich der Dada-Geist, sondern auch in Zeitschriften wie Merz, der Ventilator, Moloch, 291, 391, Dada au grand air – Der Sängerkrieg in Tirol, und in Gedichtform.
Einige Künstler erhielten entsprechende Namen wie Dadamax (Max Ernst), Zentrodada (Johannes Theodor Baargeld), Oberdada (Johannes Baader).
Als Huldigung an Max Ernst schrieb Johannes Theodor Baargeld 1920 das Gedicht “Der Vogelobre Hornebomm” (s.u.).
Johannes Theodor Baargeld: Lyrik und Prosa des Zentrodada
Bimbamresonnanz 1.
Stutzflügelalwa schlägt die flügelfeder
schlägt alwa stutzuhr bimbamresonnanz
Breschkowska-revolution der großmütter schlägt die augenleder
und ihren kalzionierten Jordanwasserschwanz
alwa pissoirgeläute brütet stutzige Landeseier
Ländnerin herien und hierin alwe
doch verbimmeltes pedal toniert schon alwenweiher
flügeluhr schlägt bim auf ländnermalve
breschkowskaja schlägt die Lederdrüse
bis die muttermöndchen bimmeln schöpfersalbe
und des Ewigen scheerenfernrohr überkrebst als alwe
Bimmelnd toten alwa landgemüse
(1920)
Bimmelresonnanz II
Bergamotten faltern im Petroleumhimmel
Schwademasten asten Schwanenkerzen
Teleplastisch starrt das Cherimbien Gewimmel
In die überöffneten Portierenherzen
Inhastiert die Himmelbimmel
Feldpostbrief recochettiert aus Krisenhimmel
Blinder Schläger sternbepitzt sein Queerverlangen
Juste Berling rückt noch jrad die Mutterzangen
Fummelmond und ferngefimmel
Barchenthose flaggt die Kaktusstangen
Lämmergeiger zieht die Wäscheleine
Wäschelenden losen hupf und falten
Zigarrinden sudeln auf den Alten
Wettermännchen kratzt an ihrem Beine
Bis alle Bimmeln angehalten
(1920)
Der Vogelobre Hornebomm
(vulgo dadamax er ist ein Mitglied der Z/w 3)
Strüh us strüh us dien Jungfernkorn
Der Vogelobre kommt der Hornebomm
Die hörnen Fähnchen uf dien Ei
Dien Sträusschen frei die Fähnchen frei
Der Utterschneck die Scherenbraut
Die stossen ihm die Kufen auf
Die nackten Inseln schlagen an
Die nackten Sträusschen schlagen an
Der Vogelobre Hornebomm das grosshell Fisch das Oberschiff
Nickt die Korallenwürmer auf
Nickt die Otterhöschen auf
Den Wasserhamster nickt er auf den hintendrauf
Kommen schon die 17 Bunteglas
Und Busenzottel die der an sich trägt
Der Zeterfisch der Fischkalb Halbesohn
Zwischen ein und halbe Sohn
Halber Zeter halber Sohn
Was scherts den Obre Hornebomm
Den Leckenmaul im Oberhorn
Ihm staht sein Rogeneuter ob dem Horn
Das staht ihm g’freit
Der Hornsturm drin der Hornsturm drin
Darinnen ist die Paarungszeit
Die tiefe Turm die tiefe Zeit
Die Horne Sträusschen und die Ei
Und immer wied die Paarungszeit
Das Schiffchen auf dem Türmegrund
Das Schiffchen auf dem Sträusschengrund
Die hornen Fähnchen hochgeweiht
Und allerob das Hochgeweih
Des hohe Vogel Hornebomm
Das Obergroßschiff Hornebomm
(1920)